Bewältigung – oder die größte Sucht

Die Trennung, selbst gewollt und doch ein Akt der Gewalt an sich. Danach Leere, die noch nicht als Solche erkennbar ist. Zu groß das Ego, dass glaubt etwas nachholen zu müssen. Nur kaschierend und ablenkend davon, dass nicht Sex fehlt, sondern Nähe, die Nähe die gerade aufgegeben wurde. Oder die Vorstellung davon. Also die Nähe, die am Anfang der Beziehung gegenwärtig war, und deren Vorstellung bis kurz vor Schluss hochgehalten wurde. Wie ist diese Zeit auszuhalten? Es geht doch kaum ohne Ablenkung. Ablenkung als Schutz, der nur nach und nach durchlässig wird, um es besser zu verkraften. Unvorstellbar, dass dieses Alleinsein jetzt anhalten soll. Wie ist Glück je wieder möglich? Nein, da muss schnell Ersatz her. Gleich eine neue ganz feste und tiefe Beziehung am Besten. Aber das muss fehlschlagen. Wer sollte diese Lücke füllen, die doch selbst erst einmal geschlossen werden muss? Wie soll das gehen, und vor Allem: wann ist sie endlich geschlossen? Das kann doch nicht so lange dauern, hier. All die anderen, stabilen Singles! Wie schaffen die das? Sie selbst zu sein und glücklich zu scheinen? Wie ist Zufriedenheit je wieder möglich, bei ständiger Suche nach jemanden? Jetzt in den Park, dann ist da vielleicht Jemand, oder abends ins Pub. Bloß nicht zuhause herumlungern! Raus, immer raus. Bis ein Jahr vorbei ist und wenig geklappt hat – immer noch allein, aber langsam müde. Auf sich selbst besinnend, mehr zuhause jetzt. Langsam verstehend, dass es die Müdigkeit ist, welche die anderen Singles ebenfalls zwingt, sich auf sich zu fokussieren. Immernoch Ausschau haltend aber schon ruhiger. Phasenweise wieder drängender, doch immer wieder auf sich selbst zurückfallend. Es ist wirklich wahr, das bedeutet Single sein, und es gibt keinen Ersatz für das, was war. Den kann es nie geben. Diese Erkenntnis verdrängend wieder Online daten, auf die Nase fallen immer wieder. Auch ruhige zurückgezogene Phasen. Das zweite Jahr ist um. Die Wahrheit ist, dass es keine Abkürzung gibt. Man muss da durch. Immerwieder kann man das verdrängen, sich auf Geschichten einlassen, die kolossal scheitern. Doch für Wahrhaftigkeit, ist der schwere Weg zu gehen. Sechs Jahre danach ist das vielleicht immernoch so. Wie war das so lange auszuhalten? Langsam erst anfangend nicht mehr jeden Ausflug zu machen, um eine Partnerin zu finden, sondern nur, um nicht schon wieder zuhause zu sein. Mit dem Kuchen an sich im Café zufrieden sein, statt auf Gesellschaft zu hoffen. Oder dem Konzert zu lauschen wegen der Musik, nicht, um Begegnungen zu suchen und weil es zuhause kaum auszuhalten ist. Langsam begreifend und akzeptierend, dass da eine Entwicklung im Innern im Gange ist, die irgendwohin führt und vielleicht noch lange dauert. Klar, die Hoffnung ist immer da, doch es ist nun gewiss, dass man mit ihr nicht planen kann. Man muss da selbst durch. Es gibt keine Abkürzung.

© Marcus Lewerenz

Online Dating

Nein, ich tue es nicht. Ich habe damit aufgehört, und ich fange nicht wieder damit an. Oder doch? Warum eigentlich nicht? Ich lade die App herunter. Die beste Dating-App, die ich kenne. OkCupid. Sie ist kostenlos, ich kann schreiben ohne zu zahlen und es gibt viele charakterisierende Fragen zu beantworten. Ferner ist zu wählen, mit welchen Antworten ich beim Gegenüber leben könnte. Aus den Antworten werden Prozentwerte errechnet, wie sehr ich zu anderen Leuten passen würde. (Diese Berechnung soll jedoch in der Vergangenheit auch schon zu Studienzwecken manipuliert worden sein.)

Ich wähle zwei Fotos von mir und lade sie aus dem Ordner „me“ meiner Dropbox hoch, den ich extra fürs Online-Dating anlegte. Man könnte mich als Dating-Plattform-Nomaden bezeichnen. Ich habe so einige Seiten ausprobiert und bin nie lange geblieben. Ich brauchte den „me“-Ordner also in regelmäßigen Abständen wieder, um neue Profile anzulegen.

Als nächstes sehe ich den Cursor blinken. Ich kann nichts schreiben. Ich will keinen Profiltext mehr verfassen, der mich entweder gut darstellt, oder versucht meine Introvertiertheit mitzuteilen ohne allzu selbsterniedrigend zu wirken. Ich will auch nicht mehr schreiben wie belesen ich vielleicht bin, oder mich anderweitig, auf Vorschuss, anderen öffnen. Ich lösche meinen Account und deinstalliere die App. So. Ich sitze am Schreibtisch und überlege wie ich den Abend nun herumkriegen soll.

So introvertiert bin ich eigentlich gar nicht. Ich kann sogar ein bisschen flirten. Bei den ganzen Reisefotos und Macker-Bildern der Menschen auf der Plattform schleicht sich bei mir jedoch ein kleines Minderwertigkeitsgefühl ein – wie immer. Ich weiß, dass dies nur aufgepeppte Profile sind, trotzdem schreckt mich das ab. Ich bin einfach nicht der Richtige für diese Dating-Mode.

Dating-Plattformen halte ich auf jeden Fall für zeitgemäß und ihre Nutzung ist in keiner Weise befremdlich für mich. Ich habe aber erlebt, wie ich dafür belächelt wurde. Ich glaube, dass sich wirklich Menschen finden können. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu verlieben, gering. Zumindest für mich. In einer Bar, im Park oder anderen Orten der physischen Welt kann ich in einer halben Sekunde entscheiden, ob ich jemanden mag. Bin ich auf einer Party, gefällt mir maximal ein Mädchen. Außerdem erkenne ich auch, ob sie mich wenigstens ein bisschen mag. Das ist also ein zusätzlicher Filter. Beim Online-Dating gibt es diese Intuition nicht. Dort sagt der Verstand und vielleicht der Penis, ob ein Foto gut aussieht. Genauso läuft es mit den Texten, die ausgetauscht werden. Das Herz kann sich zwar verlieben, allerdings nur in die Illusion von einer Frau. Es verliebt sich in die Vorstellung, die ich von meinem Gegenüber habe, und diese weicht zumeist stark von der Realität ab. Mimik, Gestik und Charakter sind einfach schwer über so eine Dating-Plattform transportierbar. Bei einem Treffen nicht enttäuscht zu sein, ist dann sehr schwierig. Aber auch wenn ich die Erwartungen herunterschraube, passt mir mein Gegenüber oft nicht. Irgendwas stört mich an ihrem Gebaren, oder an der Aura der Verzweiflung und dem unbedingten Wunsch, nicht mehr allein zu sein. Man muss beim Online-Dating also auch all diejenigen Treffen, die in der physischen Welt mit in der Bar sitzen, und die ich bereits ausgefiltert habe. Man benötigt also ein dickes Fell und Durchhaltevermögen. Besonders die Absagen für ein zweites Treffen setzten mir besonders zu. Ich weiß, dass ich damit die Person eventuell der Hoffnung beraube, die Suche sei zu Ende. Und auch mir geht es in dem Moment so.

In meiner Vorstellung gibt es jedoch Voraussetzungen, die eine größere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg versprechen. Ein Beispiel: Wenn jemand nach langer Suche endlich eine Beziehung will und den typischen Familientraum leben möchte, ist bei einem Gegenüber, dem es ähnlich geht, die Möglichkeit gegeben, dass es klappt. Allerdings erscheint mir diese Zweckverbindung doch zu Verstandes-gesteuert, und spricht mich persönlich einfach nicht an. Zumal dieser Zug irgendwie für mich abgefahren ist.

Ich denke darüber nach und versuche das flüchtige Gefühl zu greifen, dass mich den Account hat löschen lassen. Der Wunsch, mich wieder zu registrieren hat viel mit Einsamkeit und Langeweile zu tun. Das Widerstreben resultiert wohl aus meinen Erfahrungen. Mich unbekannten Personen zu öffnen kostet viel Kraft. Ich habe das Gefühl in eine Rolle gepresst zu werden. Glaube mich genötigt, nun dieses gemeinsame Projekt, auf das man sich ja im Voraus textuell verständigt hat, aufrecht zu erhalten. Ich erahne bereits die Enttäuschung, wenn ich die ganze Sache beende und meinem Gegenüber wehtun muss. Auch wenn nichts Intimes gelaufen ist. Soweit lasse ich es meist auch gar nicht kommen. Dann würde die ganze Sache noch schlimmer werden. Ich bin ein Gefühlsmensch, und wenn ich mit einer Frau schlafe, baut sich in mir der starke Wunsch auf, diese Frau dann auch zu lieben. Auch wenn das gar nicht der Fall ist. Ich will der perfekte Mann sein und merke zeitgleich, dass es nun mal nicht klappt – weil das Gefühl dazu fehlt. Ich ruhe in dem Moment nicht in mir und das kostet Energie. Dann zu gehen verursacht noch viel mehr Schmerz und letztendlich bleiben zwei Seelen zurück, verwundet und erschöpft, von der Suche nach einem Gefährten, der sie entweder trägt, oder im Idealfall, neben ihnen geht. Gar nicht traurig über den Verlust dieser flüchtigen Bekanntschaft, sondern wegen des Verlusts der eigenen Vorstellung von einer Beziehung, und der Erkenntnis, dass es nun mal nicht so einfach und schnell funktionieren kann.

Ja, jetzt weiß ich es also wieder Alles. Diese Schwere wollte ich einfach nicht mehr in meinem Leben haben. Ich möchte nicht die Hoffnung der Frau sein, dass sie jetzt glücklich wird, ohne dass sie es erstmal allein geschafft hat. Ich will auch nicht wissen, auf wen ich mich da einlasse, sondern ich möchte überrascht werden. Ich möchte die Informationen aus den Profiltexten lieber erfahren, als schon auswendig gelernt haben. Ich möchte bei einem Treffen nicht gleich den Erwartungsdruck spüren, sondern mich allmählich kennenlernen, und es für völlig offen empfinden, ob daraus etwas wird. Außerdem möchte ich mich aufheben. Aufheben für Diejenige, die die Mauer um mein Herz einreißen kann, so dass ich mich nicht mehr durch ein schmales Fenster darin zwängen muss. Ich möchte all meinen Mut zusammennehmen müssen, sie anzusprechen, anstatt dies gänzlich auszulassen. Erst wenn ich kämpfen möchte weiß ich, dass ich mich verliebt habe, und sie es offenbar wert ist.