Die unterschätzte Generation

Die Generation, der ich angehöre, wird gern geringgeschätzt. Es handelt sich hier um die zwischen 1980 und 2000 (es gibt widersprüchliche Angaben) geborenen Bürger – der Generation Y. Immer wieder hört man, ihre Angehörigen wären faul und verwöhnt. Aber was will man machen? Als Chef muss man nun mal mit ihnen leben. Früher war alles besser. Früher haben die Leute noch richtig gearbeitet und weniger genörgelt.

Die geneigte Leserin möge mir verzeihen, wenn ich hier pauschalisiere. Da die Debatte um die Generation Y jedoch voll davon ist, erlaube ich mir, hier von mir auf Andere zu schließen.

Vielleicht ist es das Schicksal jeder Generation, von ihren Vorgängern mit schüttelndem Kopf betrachtet zu werden. Artikel wie „Warum die Generation Y so unglücklich ist“ (Welt.de, 31.10.2014) zeigen wie wenig zuerst versucht wurde, diese Menschen zu verstehen. Es wurden sich zum Teil zynische Erklärungen zurechtgeschustert und Tipps gegeben, was man als Y tun könnte, um doch etwas zu erreichen. Eine ganze Generation wurde zu Traumtänzern erklärt. Andere Artikel versuchen Chefs Hilfestellungen zu geben, wenn sie es mit den Ypsilons zu tun bekommen. Mittlerweile zeigt eine kurze Suche im Internet, dass immer mehr Artikel geschrieben werden, die akzeptieren, wie meine Generation sich gibt und dies auch als Chance begreifen. Die Work-Life-Blend sei wichtig, „Glück schlägt Geld“ (Kerstin Bund 2014, Murmann Verlag), und so weiter.

Trotzdem scheint mir, dass dieses Phänomen noch nicht in seiner Gänze umrissen ist. Die Generation Y wird fast ausschließlich nur im Zusammenhang mit der Arbeitswelt genannt. Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Auswirkungen hat dies nicht nur auf das Arbeitsleben.

Einige von uns sind die ersten Digital Natives, Andere verbrachten den Großteil ihrer Kindheit ohne Internet, und lernten es erst in ihrer Jugend kennen. Wir schlagen somit die Brücke in die digitale Welt. Mehr als jede andere Generation verarbeiten wir für uns und auch untereinander die Vereinbarkeit des Analogen mit dem Digitalen. Wir denken über Datenschutz nach und gleichzeitig verweigern wir uns dem Netz nicht. Dies eröffnet ungeahnte Räume für Diskussionen und Wissensbeschaffung. Der massenhafte Austausch an Informationen bewirkt zwangsweise eine verstärkte Individualisierung des Ichs. Jeder kann sich, in die ihn interessierenden Richtungen informieren und weiterentwickeln. Außerdem mussten wir lernen, mit Fehlinformationen umzugehen. Viele prüfen kritisch, ob Informationen Hand und Fuß haben. Fehlinformationen werden im Idealfall als Solche enttarnt und öffentlich gemacht. Wir leben in einer Welt der falschen Doktoren, der Finanzkrisen, Spionageaffären und einer Lobbyismus-treuen Mainstreampolitik. Außerdem sahen wir unsere Eltern sich abrackern und erfahren auch selbst die Optimierungen der Arbeitsplätze zu Lasten der Menschlichkeit. Dadurch, dass wir das Netz mitgestalten, kann z.B. nicht mehr totgeschwiegen werden, dass Geld Grenzen überschreiten darf, und Menschen dies oft verwehrt bleibt. Wir tragen Kleidung von Unternehmen, die damit Leute anderswo ausbeuten. Wir kaufen Geräte, die pünktlich nach zwei Jahren den Geist aufgeben (geplante Obsoleszenz), obwohl die Ressourcenbeschaffung dafür bereits Kriege in Afrika zur Folge hatte („Krieg in Kongo – Auf der dunklen Seite der digitalen Welt“ FAZ.net, 23.08.2010). Wir sehen das Wachstum der Wirtschaft nur um seiner selbst willen, und zahlen Mieten die sich Berufseinsteiger kaum leisten können.

Im Großen und Ganzen: wir sind enttäuscht. Und wir wollen es besser machen. Wie es gehen könnte, erfahren wir aus dem großen Informationshaufen – dem Internet. Und wir tauschen uns darüber aus. Wir erfahren vom Grundeinkommen und erfolgreichen Probeläufen, welche vor einigen Jahrzehnten nur ausgewählte Experten gekannt hätten. Es gibt immer mehr nachhaltige Betriebe. Und ja, auch eine veränderte Einstellung zur Arbeit ist die Folge. Wir wollen uns verwirklichen, wie so viele Andere es auch tun, von denen wir im Netz lesen. Auch ohne Internet, hätte es eine Generation gegeben, die sich ähnliche Fragen stellt. Doch das Netz existiert und scheint als Beschleuniger zu wirken.

Über kurz oder lang wird sich damit die gesamte Gesellschaft verändern, denn irgendwann sitzen die Mitglieder der Generation Y (englisch „why“) auch in den Parlamenten. Es wird die Frage nach dem „Warum“ gestellt. Nicht nur, „warum sollte ich mich abrackern, wenn ein sechs-Stunden-Arbeitstag viel angenehmer ist, und ich so Zeit habe, Freunde zu sehen?“ Es geht auch um das „Warum sollten wir die Welt nicht in Frage stellen, und versuchen zu ändern, was nicht funktioniert, und nur wenigen nützt?“

Väter betreuen neben der Arbeit vermehrt ihre Kinder, und haben dafür kaum Vorbilder, sondern erkämpfen vor sich selbst und Anderen (Freunden, Chefs, Kollegen, etc.) neue Konzepte. Noch schwieriger ist die Sache der Gleichberechtigung für Frauen. Die Frau muss für sich herausfinden, ob sie eine Kampf-Feministin sein möchte, oder einfach eine Frau, die in ihren Rechten nicht eingeschränkt werden will. Vielleicht will sie auch Hausfrau sein. Das alles darf im Schlafzimmer dann auch noch völlig anders sein.

Das Informationszeitalter wird erst ist 50 oder mehr Jahren in seiner Wucht und seinen Folgen ganz erkannt werden. Der Austausch von Informationen quer über die ganze Welt ohne Zeitverzögerung, hat eine ganze Reihe von diversen Themen auf den Plan gebracht, die nun verarbeitet werden wollen. Und so vielfältig die Themen so vielfältig sind auch die Menschen, die über das Netz ähnlich Denkende finden.

Es ist nicht zu leugnen, dass die vorangegangenen Generationen viel für uns geleistet haben. Die Perspektive der Kriegsgeneration war jedoch eine völlig Andere. Nichts ist falsch daran, Bestehendes in Frage zu stellen und es langsam, im gesunden Diskurs mit der Konservative zu verändern. Besonders wenn es sich um Verbesserungen der Lebensweise handelt. Vielleicht wollen Viele nicht mehr um jeden Preis unermesslich reich werden. Eventuell können, in der Familie präsente, Väter in der Arbeit keine 110 % geben. Vielleicht wollen Einige keine Werbelügen mehr glauben. Vielleicht ist es das einfache Glück, dass viele fasziniert. Was soll schlecht daran sein, sich für eine faire Welt einzusetzen? Warum arbeiten bis zum Umfallen, damit wir Überschuss produzieren, wenn die Lage es eigentlich erlauben würde, das Tempo zu drosseln und das Menschsein zu pflegen. Irgendwann mussten der Schock der Industrialisierung, später der freien Marktwirtschaft und die damit verbundene Reduzierung des Menschen allein auf seine Funktion, wieder abflauen. Zumindest hoffe ich, dass es eines Tages dazu kommt.

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Abseits des Weges

Der Konsum und sein Superlativ

Der Wecker klingelt leise und ich beschließe aufzustehen, taumele in die Küche, fülle den Wasserkocher und stelle ihn an. Nachdem ich mich angezogen habe, gieße ich die Tasse auf. Ich lasse dabei immer wieder Wasser über den Beutel laufen, um zu verhindern dass er schwimmt. Im Radio präsentiert ein großer Baumarkt ein neues Konzert Im Olympiastadion, und der Wetterbericht wird von einem Pflanzenmarkt unterstützt. Gedankenversunken sitze ich am Tisch und schmiere mir mein Mittagsbrot, nachdem ich mir etwas zum Frühstück gegönnt hatte: Ein Brot mit Zuckerrübensirup und Butter. Beim Schürsenkel binden auf dem Flur kommt der Kater der Obermieter vorbei. Ich halte die Hand über seinen Kopf, und er springt, um sich daran zu schmiegen. Ich kraule seine Ohren und verlasse ihn dann. Die Wanderschuhe sitzen und die Jacke fühlt sich angenehm an. Ich habe Lust auf eine Wanderung. Schließlich trete ich aus dem Haus. Ich grüße den Nachbar und schließe mein Fahrrad auf. Beim Abbiegen auf die Hauptstraße verlasse ich meine Welt und werde in den lauten Stadtmorgen gezogen. Mein Inneres spannt sich und wird mitgerissen. Ich überlege, was ich heute auf der Arbeit machen wollte. Als es mir einfällt hat mich der Tag gepackt. Gedankenschweifend verbringe ich den Rest der Fahrt. Busse fahren los, Ampeln schalten und auf der Brücke schaue ich sehnsüchtig, ob sich Nebel auf dem Wasser gebildet hat. Autos mit Aufschriften überholen mich und unzählige Werbeplakate schreien immer bunter nach Aufmerksamkeit. Nachdem ich meine Kollegen begrüßt habe, der Rechner läuft und der nächste Pfefferminztee auf dem Schreibtisch steht, beginne ich meine Arbeit. Das Büro füllt sich langsam und dabei wird es immer lauter. Die Kopfhörer liegen vorbereitet am Notebook und ich übertöne die Störungen mit Musik. Beim Recherchieren oder auch Wartezeiten-Füllen blinken mich Werbeanzeigen an, mit Dingen die ich kaufen könnte und Präsentationen, wie toll sie doch wären. Das beste Netz, Diäten für das Verlieren von 5 Kilogramm in einer Woche. Die größte Musik-Streamingplattform, Trailer für den besten Bond aller Zeiten und DVDs, nein, Entschuldigung, BlueRays für den letzten Transformers-Film. In dem noch größere Riesenroboter mit noch heftigeren Waffen die Erde vor einer noch größeren Bedrohung retten. Nebenbei unterbricht „Spotify free“ die Soundwiedergabe und spielt ebenfalls eine Werbung ab. Ich setze die Kopfhörer ab. Da ich gerade etwas Wartezeit habe, lechzt mein Gehirn nach weiterer, schnell verfügbarer Stimulierung, ohne sich anstrengen zu müssen. Ich schaue bei einem großen Online-Versandhändler nach der Kamera, die ich mir vielleicht kaufen werde. Ich habe bereits eine Kamera, und ich habe viele Fotos. Keines davon hängt an der heimischen Wand. Die neue Kamera kann die Objektive wechseln und Vieles ist manuell einstellbar. Da ich sie mir schon einige Male angeschaut habe, taucht sie in der Werbung immer wieder für mich auf. Den Abend lasse ich heute vor dem Fernseher ausklingen. Ich schaue ein wenig Star Trek und um acht Uhr kommt ein Film. Wieder Werbung. Je größer der Fernseher, desto größer auch die Werbefläche. Der Abend verkommt dadurch zum Einheitsbrei. Um die Werbung zu überspringen, schaue ich derweil auf mein Telefon und entdecke gesponsorte Nachrichten im sozialen Netz. Die Hauptfigur des Films fährt das neueste Modell einer bekannten Automarke und trägt Schuhe, die Ich nicht kenne, die aber extra deutlich erwähnt werden.

Nach fünf Arbeitstagen brauche ich mein Wochenende. Samstagmorgen sattele ich mein Fahrrad, ziehe die Wanderschuhe an, die gut sitzende Jacke und fahre raus aufs Land. In den Wald und zu den Feldern. Das Fahrrad bleibt in einem Dorf und ich laufe in die Wildnis, wo Blätterrauschen den eigenen Atem beruhigt, wiegende Gräser die Augen entspannen, Nieselregen das Gesicht erfrischt und Kälte mich in Bewegung bleiben lässt. Die leere Hosentasche lacht über meine, nach dem Handy suchende Hand. Nach einer Weile beruhigt sich der Sturm in meinem Kopf. Es sind nicht mehr die Slogans, die ihre Kreise drehen, sondern es ist der Genuss der Farbnuancen einer Spätherbstlandschaft. Ein plötzliches unwirkliches Schneegestöber mit dunklen Wolken und Sonnenschein übertrumpft jedes Ding, das ich mir kaufen würde. Es vertreibt die faule Stimulationssucht meines Gehirns und setzt an diese Stelle Ruhe. Ich bin glücklich jetzt, auch weil ich endlich einmal wieder wirklich erschöpft bin.

herbstwiese2

 

 

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