Die unterschätzte Generation

Die Generation, der ich angehöre, wird gern geringgeschätzt. Es handelt sich hier um die zwischen 1980 und 2000 (es gibt widersprüchliche Angaben) geborenen Bürger – der Generation Y. Immer wieder hört man, ihre Angehörigen wären faul und verwöhnt. Aber was will man machen? Als Chef muss man nun mal mit ihnen leben. Früher war alles besser. Früher haben die Leute noch richtig gearbeitet und weniger genörgelt.

Die geneigte Leserin möge mir verzeihen, wenn ich hier pauschalisiere. Da die Debatte um die Generation Y jedoch voll davon ist, erlaube ich mir, hier von mir auf Andere zu schließen.

Vielleicht ist es das Schicksal jeder Generation, von ihren Vorgängern mit schüttelndem Kopf betrachtet zu werden. Artikel wie „Warum die Generation Y so unglücklich ist“ (Welt.de, 31.10.2014) zeigen wie wenig zuerst versucht wurde, diese Menschen zu verstehen. Es wurden sich zum Teil zynische Erklärungen zurechtgeschustert und Tipps gegeben, was man als Y tun könnte, um doch etwas zu erreichen. Eine ganze Generation wurde zu Traumtänzern erklärt. Andere Artikel versuchen Chefs Hilfestellungen zu geben, wenn sie es mit den Ypsilons zu tun bekommen. Mittlerweile zeigt eine kurze Suche im Internet, dass immer mehr Artikel geschrieben werden, die akzeptieren, wie meine Generation sich gibt und dies auch als Chance begreifen. Die Work-Life-Blend sei wichtig, „Glück schlägt Geld“ (Kerstin Bund 2014, Murmann Verlag), und so weiter.

Trotzdem scheint mir, dass dieses Phänomen noch nicht in seiner Gänze umrissen ist. Die Generation Y wird fast ausschließlich nur im Zusammenhang mit der Arbeitswelt genannt. Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Auswirkungen hat dies nicht nur auf das Arbeitsleben.

Einige von uns sind die ersten Digital Natives, Andere verbrachten den Großteil ihrer Kindheit ohne Internet, und lernten es erst in ihrer Jugend kennen. Wir schlagen somit die Brücke in die digitale Welt. Mehr als jede andere Generation verarbeiten wir für uns und auch untereinander die Vereinbarkeit des Analogen mit dem Digitalen. Wir denken über Datenschutz nach und gleichzeitig verweigern wir uns dem Netz nicht. Dies eröffnet ungeahnte Räume für Diskussionen und Wissensbeschaffung. Der massenhafte Austausch an Informationen bewirkt zwangsweise eine verstärkte Individualisierung des Ichs. Jeder kann sich, in die ihn interessierenden Richtungen informieren und weiterentwickeln. Außerdem mussten wir lernen, mit Fehlinformationen umzugehen. Viele prüfen kritisch, ob Informationen Hand und Fuß haben. Fehlinformationen werden im Idealfall als Solche enttarnt und öffentlich gemacht. Wir leben in einer Welt der falschen Doktoren, der Finanzkrisen, Spionageaffären und einer Lobbyismus-treuen Mainstreampolitik. Außerdem sahen wir unsere Eltern sich abrackern und erfahren auch selbst die Optimierungen der Arbeitsplätze zu Lasten der Menschlichkeit. Dadurch, dass wir das Netz mitgestalten, kann z.B. nicht mehr totgeschwiegen werden, dass Geld Grenzen überschreiten darf, und Menschen dies oft verwehrt bleibt. Wir tragen Kleidung von Unternehmen, die damit Leute anderswo ausbeuten. Wir kaufen Geräte, die pünktlich nach zwei Jahren den Geist aufgeben (geplante Obsoleszenz), obwohl die Ressourcenbeschaffung dafür bereits Kriege in Afrika zur Folge hatte („Krieg in Kongo – Auf der dunklen Seite der digitalen Welt“ FAZ.net, 23.08.2010). Wir sehen das Wachstum der Wirtschaft nur um seiner selbst willen, und zahlen Mieten die sich Berufseinsteiger kaum leisten können.

Im Großen und Ganzen: wir sind enttäuscht. Und wir wollen es besser machen. Wie es gehen könnte, erfahren wir aus dem großen Informationshaufen – dem Internet. Und wir tauschen uns darüber aus. Wir erfahren vom Grundeinkommen und erfolgreichen Probeläufen, welche vor einigen Jahrzehnten nur ausgewählte Experten gekannt hätten. Es gibt immer mehr nachhaltige Betriebe. Und ja, auch eine veränderte Einstellung zur Arbeit ist die Folge. Wir wollen uns verwirklichen, wie so viele Andere es auch tun, von denen wir im Netz lesen. Auch ohne Internet, hätte es eine Generation gegeben, die sich ähnliche Fragen stellt. Doch das Netz existiert und scheint als Beschleuniger zu wirken.

Über kurz oder lang wird sich damit die gesamte Gesellschaft verändern, denn irgendwann sitzen die Mitglieder der Generation Y (englisch „why“) auch in den Parlamenten. Es wird die Frage nach dem „Warum“ gestellt. Nicht nur, „warum sollte ich mich abrackern, wenn ein sechs-Stunden-Arbeitstag viel angenehmer ist, und ich so Zeit habe, Freunde zu sehen?“ Es geht auch um das „Warum sollten wir die Welt nicht in Frage stellen, und versuchen zu ändern, was nicht funktioniert, und nur wenigen nützt?“

Väter betreuen neben der Arbeit vermehrt ihre Kinder, und haben dafür kaum Vorbilder, sondern erkämpfen vor sich selbst und Anderen (Freunden, Chefs, Kollegen, etc.) neue Konzepte. Noch schwieriger ist die Sache der Gleichberechtigung für Frauen. Die Frau muss für sich herausfinden, ob sie eine Kampf-Feministin sein möchte, oder einfach eine Frau, die in ihren Rechten nicht eingeschränkt werden will. Vielleicht will sie auch Hausfrau sein. Das alles darf im Schlafzimmer dann auch noch völlig anders sein.

Das Informationszeitalter wird erst ist 50 oder mehr Jahren in seiner Wucht und seinen Folgen ganz erkannt werden. Der Austausch von Informationen quer über die ganze Welt ohne Zeitverzögerung, hat eine ganze Reihe von diversen Themen auf den Plan gebracht, die nun verarbeitet werden wollen. Und so vielfältig die Themen so vielfältig sind auch die Menschen, die über das Netz ähnlich Denkende finden.

Es ist nicht zu leugnen, dass die vorangegangenen Generationen viel für uns geleistet haben. Die Perspektive der Kriegsgeneration war jedoch eine völlig Andere. Nichts ist falsch daran, Bestehendes in Frage zu stellen und es langsam, im gesunden Diskurs mit der Konservative zu verändern. Besonders wenn es sich um Verbesserungen der Lebensweise handelt. Vielleicht wollen Viele nicht mehr um jeden Preis unermesslich reich werden. Eventuell können, in der Familie präsente, Väter in der Arbeit keine 110 % geben. Vielleicht wollen Einige keine Werbelügen mehr glauben. Vielleicht ist es das einfache Glück, dass viele fasziniert. Was soll schlecht daran sein, sich für eine faire Welt einzusetzen? Warum arbeiten bis zum Umfallen, damit wir Überschuss produzieren, wenn die Lage es eigentlich erlauben würde, das Tempo zu drosseln und das Menschsein zu pflegen. Irgendwann mussten der Schock der Industrialisierung, später der freien Marktwirtschaft und die damit verbundene Reduzierung des Menschen allein auf seine Funktion, wieder abflauen. Zumindest hoffe ich, dass es eines Tages dazu kommt.

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Abseits des Weges

Silvester ist das neue Weihnachten

Weihnachten, die Engel singen die frohe Botschaft, und die Menschen erstürmen die Supermärkte. Die Familie kommt zu Besuch, oder man selbst macht sich auf den Weg, manchmal vielleicht zu mehreren Familien an einem Tag. Erst bei den Eltern, dann bei Schwiegereltern. Trotzdem man die Lieben wiedersieht, ist die Freude heutzutage nicht mehr ganz so ausgeprägt. Der Stress ist so groß, der Tag muss perfekt sein. Das richtige Essen, mit den passenden Getränken. Ganz wichtig: Geschenke. Schon vier Wochen davor verfallen wir in Panik und rennen, was das Zeug hält, durch die Geschäfte oder das Internet und kaufen, kaufen, kaufen. Natürlich ist die Idee, sich um andere Gedanken zu machen, sehr schön. Doch die Kauferei hat ein Level erreicht, an dem es nur noch anstrengend ist. Die Wirtschaft stößt sich gesund oder klagt, falls die Menschen mal ein Jahr nicht so viel kaufen, kaufen, kaufen, sondern nur kaufen.

Weihnachten ist zu erwartungsbeladen. Zwar ist es schön, wenn man dann abends zusammensitzt und in Ruhe erzählen kann, doch die Vorbereitungen sind oft die Hölle. Überfüllte Kaufhäuser, hohe eigene und fremde Erwartungen, und ein Staunen, dass die kleinen Eisenautos jetzt fünf statt zwei oder drei Euro kosten. Auf den Weihnachtsmärkten kann man kaum treten und es wird billiger Glühwein für viel Geld verkauft. Der letzte Glühwein aus einem Kübel mit echten Zimtstangen und Mandarinen ist Jahre her.

„Genießen“ bedeutet doch etwas Anderes.

Es ist auch nicht Jeder Party-Mensch. Das Wort Party ist typisch für unsere Zeit. Ab und zu sitzt man mit Leuten zusammen und es wird gesagt: „Wir machen Party!“ Schon liegt die Erwartung in der Luft, irgendwie abdrehen zu müssen und ganz tolle Stimmung aufkommen zu lassen. Am besten durch den Konsum von viel Alkohol. Das wirkt sehr aufgesetzt. „Ihr seid jetzt alle hier, also betrinkt euch, und dreht irgendwie durch, so dass ihr sagen könnt, es war eine echt wilde Nacht. Sonst seid ihr eine lahme Bande.“ Eine Party eben.

Man muss etwas nicht Party nennen, um dabei Spaß zu haben. Aber nicht mit größtenteils Fremden, sondern lieber mit Freunden. Silvester werden meist ebenfalls Partys gefeiert. Das habe ich mir abgewöhnt. Klar, hin und wieder bin ich mal ein Jahr bei Freunden. Doch ich kann das auch einfach zuhause mit meiner ansässigen Familie & Kindern. Morgens wachen die Kinder auf, und freuen sich, lange aufzubleiben. Wir haben an diesem Tag also viel Zeit. Wir essen spät Frühstück und spielen vorher etwas im Zimmer. Es ist eine besondere Stimmung, und wir verbringen den Tag bewusster. Wir spielen vielleicht zusammen etwas am Computer, gehen raus, oder nehmen uns Zeit für ein Brettspiel mehr. Zu essen gibt es meist etwas Einfaches. Kartoffelsuppe, Puffer oder Spagetti. Weil nicht klar ist, wie lange die Kinder durchhalten, wird um sechs Uhr abends schon einmal eine kleine Feuerwerksbatterie gezündet. Wir haben an diesem Tag die Zeit für eine Nachtwanderung, können lange erzählen und haben Mitternacht noch ein tolles Feuerwerk vor unserem Balkon. Zwischendurch gibt’s eine kleine Brause und Kräuterbaguette. Kein Fokus auf Geschenke, die gemeinsame Zeit ist wichtig. Man kann es sogar besinnlich nennen. Besinnung auf die Liebsten, ohne Stress.

Auch wenn ich meine Kinder nicht habe, trifft das Wort „besinnlich“ den Kern. Am frühen Abend besuche ich sie, und wir zünden das obligatorische Feuerwerk. Bin ich nicht bei Freunden, mache ich danach etwas für mich, egal was. Zur Mitternacht hin, gehe ich meistens raus auf Wanderschaft, und kann meine Gedanken ordnen.

Diese beiden ruhigen Varianten sind für mich zu einem Ritual geworden, das ich nicht mehr missen möchte. Mit einem Minimum an Vorbereitungsstress verbringe ich einen ruhigen, besinnlichen Tag und genieße die Zeit mit meiner Familie, nehme mir Zeit für etwas Besonderes mit ihr, oder richte meine Aufmerksamkeit allein auf mich.

Man kann also sagen, zumindest für die Ruhigeren unter uns, Silvester ist das neue Weihnachten. Auch wenn Weihnachten trotzdem die Zeit bleibt, in der man auch entferntere Verwandte mal wiedersehen kann, liegt für mich nun viel von seiner Besinnlichkeit im Jahreswechsel.

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Das Schlaraffenland ist tot, lang lebe das Schlaraffenland.

Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom Schlaraffenland? Wo Flüsse voller Milch und Honig fließen und gebratene Hühner direkt in die Münder, der nie hungernden Menschen fliegen. Eine Geschichte, die zweifellos die existentiellen Ängste der Menschen anspricht. Zurzeit ist diese Geschichte jedoch fast in Vergessenheit geraten. Warum? Vielleicht leben wir bereits in einer Art Schlaraffenland. Zumindest in den westlichen Industrienationen ist das Thema Essen eigentlich kaum noch relevant. Jedenfalls nicht das Satt-Werden an sich. Natürlich gibt es immer noch Menschen, die in großer Armut leben. Die Meisten jedoch, können sich alles zu Essen kaufen, was sie brauchen. Und noch mehr. Mikrowellen und Fast Food liefern uns tatsächlich das fertige Essen, nur in den Mund fliegen kann es noch nicht. Ob es nun gesund ist, sei hier mal vernachlässigt. Sicher ist dieser Traum eine Flucht vor den Nöten in einer nahrungsknappen Zeit.

Während Kriegen und Hungersnöten gewinnt die Bedeutung des Traumes vom Schlaraffenland sicher wieder stark an Einfluss. Doch wir, die wir quasi darin leben, wissen, dass es mehr braucht. Ein sorgloses Leben allein stellt uns nicht zufrieden. Es braucht auch eine gewisse Spannung. Nicht dass wir ein sorgenfreies Leben haben. Nein, wir sind weit davon entfernt. Wir zahlen Rechnungen, kriegen Mieterhöhungen und das Benzin wir teurer. Die Probleme sind heute einfach anders. Hoher Stress im Alltag durch den Leistungsfokus der Gesellschaft bereits in Kindergärten und Schulen, Optimierung der Arbeitskräfte für die globale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen und niedrige Renten. Wie die Hungernden in das Schlaraffenland flüchten, flüchten wir woanders hin. Wir flüchten an einen Ort, an dem die nächste Abrechnung ihre Bedeutung verliert, an dem das Einzige, was mit einer Deadline beschrieben wird, wirklich der Tod ist. Dort gibt es keinen Verkehrslärm, keine Versicherungsbeiträge, und weniger Menschen. Wesentlich weniger Menschen. Es gibt kein Wasser aus der Leitung und keinen Strom. All das, was uns in den Städten von der Natur abschneidet gibt es dort nicht mehr. Wir sind genötigt, wieder mit elementaren Gefühlen wie Kälte und körperliche Erschöpfung umzugehen. Wir schaffen wieder Dinge mit unseren Händen, anstatt virtuell Bits und Bytes hin- und herzuschieben. Wir brauchen dafür keine besondere Ausbildung, oder Empfehlungsschreiben. Geld spielt dort sowieso keine Rolle. Es ist das Schlaraffenland 2.0, welches sich seit Jahrzehnten zu einem Kult entwickelt hat. Regelmäßig lassen sich Menschen in diese Welt fallen. Die Rede ist hier von der Zombieapokalypse. Es gibt eine deutliche unbewusste Sehnsucht danach. Die Illusion, einer der wenigen Überlebenden zu sein, ist natürlich unrealistisch. Der Überlebensprozess als solcher ist jedoch gerade das Interessante daran. Es gibt so viele Geschichten, Filme oder Computerspiele, und immer ist das Interessanteste der erste Teil. Jener Teil, in dem unsere überlebende Person durch einen guten Instinkt (oder einfach nur Glück) die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Natürlich ist so ein Zombie an sich kein Heilsbringer. Er ist eben die Würze, die dem Schlaraffenland fehlt. Zombies sind darüber hinaus sehr einfach. Meist nur in Horden gefährlich, lernt unser Protagonist schnell, wie so ein Zombie auszuschalten ist. Er ist auch unwiderruflich böse. Man muss sich keine Gedanken machen, wenn man ihn tötet. Noch interessanter ist das elementare Gefühl, dass diese Bedrohung verursacht. Wir müssen leise sein, auf dem Boden kriechen, feuchte Erde riechen. Alles um möglichst unbeschadet zu überleben und unentdeckt zu bleiben. Es geht zurück zum rein körperlichen Überleben unserer Träumer, die in Wirklichkeit nur Zahlen und Anträge vor sich haben. Es wäre ein Lebensstil, der uns von Gesundheitsexperten empfohlen wird, aber aus Zeitmangel unrealistisch ist. Viel Bewegung, weniger Essen und Natur genießen.

Wir müssen nur andere Häuser nach Nahrung durchsuchen und wissen jedes kleine Ding zu schätzen, dass wir finden. Wir aus unserer Ding-vollen Konsumgesellschaft freuen uns nach dem Ende der Welt wie kleine Kinder über Benzinkanister, Fackeln, Getreidesamen oder einfach nur ein gut erhaltenes Taschenmesser. Gute Kleidung wird nun durch praktische Werte klassifiziert, nicht durch Namen und Preise. Man braucht nur etwas Glück und kann überall Alles finden. Diese Dinge schlaraffen sozusagen vor sich hin. Ist der erste Hunger gestillt, der Rucksack mit allem Nötigen gefüllt, ist der Träger stolz und es durchfließt ihn tiefe Zufriedenheit, angesichts des nackten Überlebens und der strafferen Muskulatur. Zeitgleich wird die nächste Phase der Geschichte eingeleitet. Der Fokus verschiebt sich in Richtung Langzeitversorgung. Unser Träumer ist vielleicht Teil einer Gruppe und es wird ihm bewusst, dass irgendwann alle Häuser geplündert und alle Konservendosen geleert sind. Es geht nun darum, sich Gedanken über Nahrungsanbau und Jagd zu machen. Immer noch sehr elementar. Keine Zahlen oder Anträge. Es werden Stunden und Tage nur im Wald  oder auf Feldern verbracht. Die frische Luft wird geatmet, man spürt den Wandel der Jahreszeiten und den morgendlichen Nebel. Es wird Alles mit den eigenen Händen geschaffen, dessen Resultate man unmittelbar selbst zu spüren bekommt, und nicht irgendein Werbetexter am anderen Ende der Welt. Keine Termine, nur das Überleben ist wichtig.

In dieser Phase stellen die Zombies nur noch gelegentlich eine Bedrohung dar. Eigentlich kann man mit ihnen inzwischen schon sehr routiniert umgehen. Der eigene Unterschlupf nimmt immer mehr Form an, die Fenster sind vernagelt, und Feuerholz gibt es genug. Auch darauf kann man sehr stolz sein. Es fallen keine Raten an.

An dieser Stelle sollte die Fantasie aufhören, aber die Geschichten gehen meist weiter. Die Menschen raufen sich zusammen und bauen kleine Siedlungen wieder auf. Es mangelt an immer weniger Dingen. Früher oder später geht der kleinen Gruppe die Erkenntnis auf, dass Zombies nicht die größte Bedrohung in dieser Welt sind: es sind andere Menschen, die sich skrupellos im rechtsfreien Raum bewegen. Dadurch wird zwar noch einmal die Spannung ordentlich erhöht, eine Geschichte braucht so etwas wohl eben. Aber in dieser Phase ähnelt der Traum wieder mehr unserer wirklichen Welt. Es bekriegen und streiten sich Menschen auf das Heftigste. Es gibt Intrigen und Verrat. Das hat nichts mehr mit einem Traum zu tun. Es ist lediglich das Resultat dessen, was herauskommt, wenn man die Geschichten zu Ende denkt. Anführer werden zu Politikern und argumentieren. Die Sache verkompliziert sich und ist eigentlich kaum noch eine Flucht aus unserer Welt wert. Natürlich ist unsere Gruppe siegreich und führt den Aufbau der neuen Welt immer weiter voran. Eine Welt die leider immer mehr unserer Wirklichen gleicht.

Natürlich werden das nicht alle Menschen so sehen. Ein gewisser Teil, der vielleicht mit unserer abgestumpften Konsumgesellschaft nicht so gut klarkommt, könnte diese Fantasie jedoch als Gedankenflucht nutzen. Auch wenn die Vorstellung der Zombieapokalypse nicht erstrebenswert und natürlich schrecklich ist, entbehrt sie, trotz des ganzen Horrors und der Gewalt, nicht einem gewissen Reiz. Eine Manifestation des unbewussten Wunsches, wieder echter, elementarer fühlen zu können. Da unsere Gesellschafft jedoch relativ unveränderlich ist, muss man sich in Gedanken nun einmal einen heftigen Grund einfallen lassen, warum sich die Welt ändern muss.

Vielleicht ist das Schlaraffenland immer gerade jener Traum, in den die Menschen ihrer Zeit gedanklich flüchten. So wie es die Filme der 50er und 60er Jahre waren, für die schwere Zeit des Aufbaus nach dem Krieg und die vielen Trümmerfamilien. „Schnulzen“ wie mein Vater sagen würde. In denen zum Schluss für alle Beteiligten immer alles ins Lot kommt. Auch wenn es nur durch Heintjes Stimme passiert.

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Der Konsum und sein Superlativ

Der Wecker klingelt leise und ich beschließe aufzustehen, taumele in die Küche, fülle den Wasserkocher und stelle ihn an. Nachdem ich mich angezogen habe, gieße ich die Tasse auf. Ich lasse dabei immer wieder Wasser über den Beutel laufen, um zu verhindern dass er schwimmt. Im Radio präsentiert ein großer Baumarkt ein neues Konzert Im Olympiastadion, und der Wetterbericht wird von einem Pflanzenmarkt unterstützt. Gedankenversunken sitze ich am Tisch und schmiere mir mein Mittagsbrot, nachdem ich mir etwas zum Frühstück gegönnt hatte: Ein Brot mit Zuckerrübensirup und Butter. Beim Schürsenkel binden auf dem Flur kommt der Kater der Obermieter vorbei. Ich halte die Hand über seinen Kopf, und er springt, um sich daran zu schmiegen. Ich kraule seine Ohren und verlasse ihn dann. Die Wanderschuhe sitzen und die Jacke fühlt sich angenehm an. Ich habe Lust auf eine Wanderung. Schließlich trete ich aus dem Haus. Ich grüße den Nachbar und schließe mein Fahrrad auf. Beim Abbiegen auf die Hauptstraße verlasse ich meine Welt und werde in den lauten Stadtmorgen gezogen. Mein Inneres spannt sich und wird mitgerissen. Ich überlege, was ich heute auf der Arbeit machen wollte. Als es mir einfällt hat mich der Tag gepackt. Gedankenschweifend verbringe ich den Rest der Fahrt. Busse fahren los, Ampeln schalten und auf der Brücke schaue ich sehnsüchtig, ob sich Nebel auf dem Wasser gebildet hat. Autos mit Aufschriften überholen mich und unzählige Werbeplakate schreien immer bunter nach Aufmerksamkeit. Nachdem ich meine Kollegen begrüßt habe, der Rechner läuft und der nächste Pfefferminztee auf dem Schreibtisch steht, beginne ich meine Arbeit. Das Büro füllt sich langsam und dabei wird es immer lauter. Die Kopfhörer liegen vorbereitet am Notebook und ich übertöne die Störungen mit Musik. Beim Recherchieren oder auch Wartezeiten-Füllen blinken mich Werbeanzeigen an, mit Dingen die ich kaufen könnte und Präsentationen, wie toll sie doch wären. Das beste Netz, Diäten für das Verlieren von 5 Kilogramm in einer Woche. Die größte Musik-Streamingplattform, Trailer für den besten Bond aller Zeiten und DVDs, nein, Entschuldigung, BlueRays für den letzten Transformers-Film. In dem noch größere Riesenroboter mit noch heftigeren Waffen die Erde vor einer noch größeren Bedrohung retten. Nebenbei unterbricht „Spotify free“ die Soundwiedergabe und spielt ebenfalls eine Werbung ab. Ich setze die Kopfhörer ab. Da ich gerade etwas Wartezeit habe, lechzt mein Gehirn nach weiterer, schnell verfügbarer Stimulierung, ohne sich anstrengen zu müssen. Ich schaue bei einem großen Online-Versandhändler nach der Kamera, die ich mir vielleicht kaufen werde. Ich habe bereits eine Kamera, und ich habe viele Fotos. Keines davon hängt an der heimischen Wand. Die neue Kamera kann die Objektive wechseln und Vieles ist manuell einstellbar. Da ich sie mir schon einige Male angeschaut habe, taucht sie in der Werbung immer wieder für mich auf. Den Abend lasse ich heute vor dem Fernseher ausklingen. Ich schaue ein wenig Star Trek und um acht Uhr kommt ein Film. Wieder Werbung. Je größer der Fernseher, desto größer auch die Werbefläche. Der Abend verkommt dadurch zum Einheitsbrei. Um die Werbung zu überspringen, schaue ich derweil auf mein Telefon und entdecke gesponsorte Nachrichten im sozialen Netz. Die Hauptfigur des Films fährt das neueste Modell einer bekannten Automarke und trägt Schuhe, die Ich nicht kenne, die aber extra deutlich erwähnt werden.

Nach fünf Arbeitstagen brauche ich mein Wochenende. Samstagmorgen sattele ich mein Fahrrad, ziehe die Wanderschuhe an, die gut sitzende Jacke und fahre raus aufs Land. In den Wald und zu den Feldern. Das Fahrrad bleibt in einem Dorf und ich laufe in die Wildnis, wo Blätterrauschen den eigenen Atem beruhigt, wiegende Gräser die Augen entspannen, Nieselregen das Gesicht erfrischt und Kälte mich in Bewegung bleiben lässt. Die leere Hosentasche lacht über meine, nach dem Handy suchende Hand. Nach einer Weile beruhigt sich der Sturm in meinem Kopf. Es sind nicht mehr die Slogans, die ihre Kreise drehen, sondern es ist der Genuss der Farbnuancen einer Spätherbstlandschaft. Ein plötzliches unwirkliches Schneegestöber mit dunklen Wolken und Sonnenschein übertrumpft jedes Ding, das ich mir kaufen würde. Es vertreibt die faule Stimulationssucht meines Gehirns und setzt an diese Stelle Ruhe. Ich bin glücklich jetzt, auch weil ich endlich einmal wieder wirklich erschöpft bin.

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Globale Intelligenz durch soziale Netze

Vor fünf Jahren registrierte ich mich bei Twitter auf Grund eines Online-Artikels der FAZ („Bedeutung der „Retweets“ – Auf Twitter entsteht eine kollektive Intelligenz von Holger Schmidt am 18.05.2010).

Dieser Artikel beschreibt Die Netzstruktur der Plattform recht vielversprechend. Allerdings wird kaum auf die Intelligenzentstehung selbst eingegangen, was ich hier ergänzen möchte. Jeder Nutzer ist ein Knoten in einem Netz. Er kann sich mit anderen Knoten verbinden (folgen) und deren Nachrichten empfangen. Ebenso können andere Nutzer sich mit unserem ersten Knoten verbinden. Darüber hinaus kann jeder Teilnehmer, Nachrichten von Anderen weitergeben (retweeten). So entsteht ein Netz, welches ähnlich funktioniert wie das neurale Netz im Gehirn. Ein Neuron in unserem Kopf gibt Reize an die verbundenen Neuronen erst weiter, wenn diese für dieses Neuron stark genug sind. In sozialen Netzwerken wie Twitter entspricht jeder Nutzerknoten also im Grunde einem Neuron, nur dass jedes Neuron hier wesentlich intelligenter ist. Dazu kommt, dass jeder Teilnehmer die Verknüpfungen zu anderen lösen, und auch immer wieder Neue knüpfen kann.

Da ich nur Twitter kenne, beziehe ich mich in diesem Artikel auf diese Plattform. Natürlich sind auch Facebook und Andere mittlerweile in der Lage, Meldungen zu teilen. Der Zwang, auf Twitter alles kurz und prägnant formulieren zu müssen, kommt mir hier jedoch sehr gelegen. Jeder Teilnehmer kann schnell entscheiden, wie wichtig die Meldung für ihn ist.

Anfang des Jahres gab es auf Twitter an die 288 Millionen Nutzer. Unser Gehirn hat ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen. Das ist natürlich ein gewaltiger Unterschied. Trotzdem sind 288 Millionen nicht wenig. Hinzu kommt das hier hinter jeder Nervenzelle ein ganzer Mensch steht, und von den 100 Milliarden Neuronen im Gehirn viele für die Steuerung des Körpers zuständig sind.

Die Aussage des FAZ-Artikels, es entstünde eine kollektive Intelligenz auf Twitter, war für mich, als Liebhaber von Utopien, der Auslöser, mich dort zu registrieren. Ich wollte unbedingt dabei sein, wenn so etwas passiert. An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es bereits geschehen ist, zum Erscheinen des Artikels sogar bereits geschehen war. Nur nicht in dem Ausmaß wie heute.

Es gibt längst Algorithmen, die analysieren, wie die Stimmung auf Twitter ist. Hochrechnungen zu Wahlen, Analysen, über die Beliebtheit von Fernsehserien und Vieles mehr. Was ist ein Shitstorm Anderes als der Ausdruck einer wütenden Intelligenz? Eine signifikante Menge Neuronen feuert empörte Nachrichten und färbt so die Stimmung des Netzwesens, die von RTL zwei Tage später ausgewertet wird.

Sogar unsere Sprache hat sich bereits angepasst. „Netzbürger“ bilden im Netz auf vielen Plattformen die „Netzgemeinde“. Die Bedeutung des letzten Begriffes ist nicht mehr weit von der Bezeichnung des „Allwesens“ entfernt, der Vereinigung aller Menschen als Wesen in der Datensphäre aus Dan Simmons Die Hyperion-Gesänge.

Wichtige Neuigkeiten wie die Tötung Osama bin Ladens (2011), oder Vorfälle wie die Notlandung auf dem Hudson River (2009) werden blitzschnell verbreitet und bewegen die Netzgemeinde zu einem großen Teil.

Natürlich gibt es auch sehr viele Nachrichten, die lediglich Unterhaltungswert aufweisen, oder schlichtweg falsche Informationen verbreiten. Allerdings geschehen solche Dinge auch in unseren Köpfen. Gedanken, die wir verwerfen, Ideen, die uns Angst machen oder zum Lachen bringen und Überlegungen die gar nicht zu uns passen, die wir aber einmal durchspielen wollten.

Es ist, als ob es ein großes offenes Gehirn gibt, Und dank Auswertungsalgorithmen können wir darin Gedanken lesen. Ja sogar Gefühle feststellen, wie all die Mitleidsbekundungen nach Terroranschlägen oder ertrunkenen Vertriebenen im Mittelmeer.

Nun könnte jemand behaupten, dies sei nicht Intelligenz, sondern nur das Echo von vielen Intelligenzen, die sich im Netz mitteilen. Das stimmt nur zum Teil.

Der Duden definiert Intelligenz folgendermaßen „[Die] Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten“ (Quelle: http://www.duden.de/rechtschreibung/Intelligenz; 17.11.2015).

Da stellt sich die Frage, ob die Netzgemeinde als Wesen denkt, nicht nur Gedanken wiedergibt, sondern aus verschiedenen Ideen und deren Abwägung wieder neue Ideen oder Gedanken entwickelt. Aber passiert nicht gerade dies, wenn sich online zwei Menschen austauschen und vielleicht gegenseitig inspirieren? Andere versuchen Menschen von ihrer Meinung zu überzeugen. So ändert sich unter Umständen das Verhalten der beteiligten Nutzer (Neuronen) im sozialen Netz. Manchmal hat dieser Denkprozess aber auch handfestere Folgen – konkretes Handeln. Manche Unterschreiben, nach der Verbreitung von wichtigen Meldungen eine entsprechende Petition, oder organisieren Proteste (zum Beispiel: der arabische Frühling).

Man sollte dem Phänomen also tatsächlich eine Intelligenz zusprechen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine künstliche Intelligenz. Es scheint eher eine Symbiose von künstlicher und menschlicher Intelligenz zu sein. Denn neben der Eigenschaft als Neuron in diesem neuronalen Netz übernehmen wir Menschen noch eine andere wichtige Funktion: Die des Sinnesorgans. Jeder Reiz, ob aktuell oder als Erinnerung, der uns zu einer Meldung im sozialen Netzwerk veranlasst, ist für die Netzgemeinde ein Sinneseindruck. Viele scheint es richtiggehend süchtig zu machen, diese Funktion zu erfüllen. Wir halten überall unser Smartphone hoch und knipsen schicke Bilder für Instagram und posten es auch gleich bei Twitter oder Facebook (oder Beiden). Die uns umgebenden Neuronen bewerten diesen Eindruck durch die Favorisierungsfunktion, oder leiten die Meldung sogar gleich weiter. Wichtige Eindrücke entgehen dem Netzwerk durch diese Funktion meistens nicht, und beeinflussen – je nach Brisanz – den gesamten Denkprozess der Netzgemeinde.

Intelligenz ist also durchaus vorhanden. Daran schließt sich jedoch auch direkt die Frage nach dem Bewusstsein an. Ist sich das Netzwesen seiner selbst bewusst? Betrachtet man nur den künstlichen Teil auf den Servern muss die Antwort auf diese Frage sicher „Nein“ lauten. Schauen wir jedoch über das Gesamtbild, den menschlichen Teil vereinigt mit dem Technischen, sieht es nicht mehr ganz so einfach aus. Menschen die twittern, tun dies unter Umständen mit einem Gefühl von „Das muss ich der Welt mitteilen!“ oder, „Oh Gott, dass nimmt mich so mit, ich muss mich den Anderen anschließen!“. Dies geschieht dann im Grunde mit einem Gedanken an die Netzgemeinde, mit dem Bewusstsein, ein wichtiger Teil des Ganzen zu sein.

Da viele Netzbürger Teil mehrerer sozialer Netze sind, und sich nicht unbedingt auf jeder Plattform mit den gleichen „Neuronen“ verknüpfen, bilden die verschiedenen sozialen Netze zusammen die globale Intelligenz. Sicher ist diese Intelligenz anders als die eines einzelnen Menschen, entspricht jedoch der Definition aus dem Duden. Und wir sind ein Teil davon.

Online Dating

Nein, ich tue es nicht. Ich habe damit aufgehört, und ich fange nicht wieder damit an. Oder doch? Warum eigentlich nicht? Ich lade die App herunter. Die beste Dating-App, die ich kenne. OkCupid. Sie ist kostenlos, ich kann schreiben ohne zu zahlen und es gibt viele charakterisierende Fragen zu beantworten. Ferner ist zu wählen, mit welchen Antworten ich beim Gegenüber leben könnte. Aus den Antworten werden Prozentwerte errechnet, wie sehr ich zu anderen Leuten passen würde. (Diese Berechnung soll jedoch in der Vergangenheit auch schon zu Studienzwecken manipuliert worden sein.)

Ich wähle zwei Fotos von mir und lade sie aus dem Ordner „me“ meiner Dropbox hoch, den ich extra fürs Online-Dating anlegte. Man könnte mich als Dating-Plattform-Nomaden bezeichnen. Ich habe so einige Seiten ausprobiert und bin nie lange geblieben. Ich brauchte den „me“-Ordner also in regelmäßigen Abständen wieder, um neue Profile anzulegen.

Als nächstes sehe ich den Cursor blinken. Ich kann nichts schreiben. Ich will keinen Profiltext mehr verfassen, der mich entweder gut darstellt, oder versucht meine Introvertiertheit mitzuteilen ohne allzu selbsterniedrigend zu wirken. Ich will auch nicht mehr schreiben wie belesen ich vielleicht bin, oder mich anderweitig, auf Vorschuss, anderen öffnen. Ich lösche meinen Account und deinstalliere die App. So. Ich sitze am Schreibtisch und überlege wie ich den Abend nun herumkriegen soll.

So introvertiert bin ich eigentlich gar nicht. Ich kann sogar ein bisschen flirten. Bei den ganzen Reisefotos und Macker-Bildern der Menschen auf der Plattform schleicht sich bei mir jedoch ein kleines Minderwertigkeitsgefühl ein – wie immer. Ich weiß, dass dies nur aufgepeppte Profile sind, trotzdem schreckt mich das ab. Ich bin einfach nicht der Richtige für diese Dating-Mode.

Dating-Plattformen halte ich auf jeden Fall für zeitgemäß und ihre Nutzung ist in keiner Weise befremdlich für mich. Ich habe aber erlebt, wie ich dafür belächelt wurde. Ich glaube, dass sich wirklich Menschen finden können. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu verlieben, gering. Zumindest für mich. In einer Bar, im Park oder anderen Orten der physischen Welt kann ich in einer halben Sekunde entscheiden, ob ich jemanden mag. Bin ich auf einer Party, gefällt mir maximal ein Mädchen. Außerdem erkenne ich auch, ob sie mich wenigstens ein bisschen mag. Das ist also ein zusätzlicher Filter. Beim Online-Dating gibt es diese Intuition nicht. Dort sagt der Verstand und vielleicht der Penis, ob ein Foto gut aussieht. Genauso läuft es mit den Texten, die ausgetauscht werden. Das Herz kann sich zwar verlieben, allerdings nur in die Illusion von einer Frau. Es verliebt sich in die Vorstellung, die ich von meinem Gegenüber habe, und diese weicht zumeist stark von der Realität ab. Mimik, Gestik und Charakter sind einfach schwer über so eine Dating-Plattform transportierbar. Bei einem Treffen nicht enttäuscht zu sein, ist dann sehr schwierig. Aber auch wenn ich die Erwartungen herunterschraube, passt mir mein Gegenüber oft nicht. Irgendwas stört mich an ihrem Gebaren, oder an der Aura der Verzweiflung und dem unbedingten Wunsch, nicht mehr allein zu sein. Man muss beim Online-Dating also auch all diejenigen Treffen, die in der physischen Welt mit in der Bar sitzen, und die ich bereits ausgefiltert habe. Man benötigt also ein dickes Fell und Durchhaltevermögen. Besonders die Absagen für ein zweites Treffen setzten mir besonders zu. Ich weiß, dass ich damit die Person eventuell der Hoffnung beraube, die Suche sei zu Ende. Und auch mir geht es in dem Moment so.

In meiner Vorstellung gibt es jedoch Voraussetzungen, die eine größere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg versprechen. Ein Beispiel: Wenn jemand nach langer Suche endlich eine Beziehung will und den typischen Familientraum leben möchte, ist bei einem Gegenüber, dem es ähnlich geht, die Möglichkeit gegeben, dass es klappt. Allerdings erscheint mir diese Zweckverbindung doch zu Verstandes-gesteuert, und spricht mich persönlich einfach nicht an. Zumal dieser Zug irgendwie für mich abgefahren ist.

Ich denke darüber nach und versuche das flüchtige Gefühl zu greifen, dass mich den Account hat löschen lassen. Der Wunsch, mich wieder zu registrieren hat viel mit Einsamkeit und Langeweile zu tun. Das Widerstreben resultiert wohl aus meinen Erfahrungen. Mich unbekannten Personen zu öffnen kostet viel Kraft. Ich habe das Gefühl in eine Rolle gepresst zu werden. Glaube mich genötigt, nun dieses gemeinsame Projekt, auf das man sich ja im Voraus textuell verständigt hat, aufrecht zu erhalten. Ich erahne bereits die Enttäuschung, wenn ich die ganze Sache beende und meinem Gegenüber wehtun muss. Auch wenn nichts Intimes gelaufen ist. Soweit lasse ich es meist auch gar nicht kommen. Dann würde die ganze Sache noch schlimmer werden. Ich bin ein Gefühlsmensch, und wenn ich mit einer Frau schlafe, baut sich in mir der starke Wunsch auf, diese Frau dann auch zu lieben. Auch wenn das gar nicht der Fall ist. Ich will der perfekte Mann sein und merke zeitgleich, dass es nun mal nicht klappt – weil das Gefühl dazu fehlt. Ich ruhe in dem Moment nicht in mir und das kostet Energie. Dann zu gehen verursacht noch viel mehr Schmerz und letztendlich bleiben zwei Seelen zurück, verwundet und erschöpft, von der Suche nach einem Gefährten, der sie entweder trägt, oder im Idealfall, neben ihnen geht. Gar nicht traurig über den Verlust dieser flüchtigen Bekanntschaft, sondern wegen des Verlusts der eigenen Vorstellung von einer Beziehung, und der Erkenntnis, dass es nun mal nicht so einfach und schnell funktionieren kann.

Ja, jetzt weiß ich es also wieder Alles. Diese Schwere wollte ich einfach nicht mehr in meinem Leben haben. Ich möchte nicht die Hoffnung der Frau sein, dass sie jetzt glücklich wird, ohne dass sie es erstmal allein geschafft hat. Ich will auch nicht wissen, auf wen ich mich da einlasse, sondern ich möchte überrascht werden. Ich möchte die Informationen aus den Profiltexten lieber erfahren, als schon auswendig gelernt haben. Ich möchte bei einem Treffen nicht gleich den Erwartungsdruck spüren, sondern mich allmählich kennenlernen, und es für völlig offen empfinden, ob daraus etwas wird. Außerdem möchte ich mich aufheben. Aufheben für Diejenige, die die Mauer um mein Herz einreißen kann, so dass ich mich nicht mehr durch ein schmales Fenster darin zwängen muss. Ich möchte all meinen Mut zusammennehmen müssen, sie anzusprechen, anstatt dies gänzlich auszulassen. Erst wenn ich kämpfen möchte weiß ich, dass ich mich verliebt habe, und sie es offenbar wert ist.

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