Silvester ist das neue Weihnachten

Weihnachten, die Engel singen die frohe Botschaft, und die Menschen erstürmen die Supermärkte. Die Familie kommt zu Besuch, oder man selbst macht sich auf den Weg, manchmal vielleicht zu mehreren Familien an einem Tag. Erst bei den Eltern, dann bei Schwiegereltern. Trotzdem man die Lieben wiedersieht, ist die Freude heutzutage nicht mehr ganz so ausgeprägt. Der Stress ist so groß, der Tag muss perfekt sein. Das richtige Essen, mit den passenden Getränken. Ganz wichtig: Geschenke. Schon vier Wochen davor verfallen wir in Panik und rennen, was das Zeug hält, durch die Geschäfte oder das Internet und kaufen, kaufen, kaufen. Natürlich ist die Idee, sich um andere Gedanken zu machen, sehr schön. Doch die Kauferei hat ein Level erreicht, an dem es nur noch anstrengend ist. Die Wirtschaft stößt sich gesund oder klagt, falls die Menschen mal ein Jahr nicht so viel kaufen, kaufen, kaufen, sondern nur kaufen.

Weihnachten ist zu erwartungsbeladen. Zwar ist es schön, wenn man dann abends zusammensitzt und in Ruhe erzählen kann, doch die Vorbereitungen sind oft die Hölle. Überfüllte Kaufhäuser, hohe eigene und fremde Erwartungen, und ein Staunen, dass die kleinen Eisenautos jetzt fünf statt zwei oder drei Euro kosten. Auf den Weihnachtsmärkten kann man kaum treten und es wird billiger Glühwein für viel Geld verkauft. Der letzte Glühwein aus einem Kübel mit echten Zimtstangen und Mandarinen ist Jahre her.

„Genießen“ bedeutet doch etwas Anderes.

Es ist auch nicht Jeder Party-Mensch. Das Wort Party ist typisch für unsere Zeit. Ab und zu sitzt man mit Leuten zusammen und es wird gesagt: „Wir machen Party!“ Schon liegt die Erwartung in der Luft, irgendwie abdrehen zu müssen und ganz tolle Stimmung aufkommen zu lassen. Am besten durch den Konsum von viel Alkohol. Das wirkt sehr aufgesetzt. „Ihr seid jetzt alle hier, also betrinkt euch, und dreht irgendwie durch, so dass ihr sagen könnt, es war eine echt wilde Nacht. Sonst seid ihr eine lahme Bande.“ Eine Party eben.

Man muss etwas nicht Party nennen, um dabei Spaß zu haben. Aber nicht mit größtenteils Fremden, sondern lieber mit Freunden. Silvester werden meist ebenfalls Partys gefeiert. Das habe ich mir abgewöhnt. Klar, hin und wieder bin ich mal ein Jahr bei Freunden. Doch ich kann das auch einfach zuhause mit meiner ansässigen Familie & Kindern. Morgens wachen die Kinder auf, und freuen sich, lange aufzubleiben. Wir haben an diesem Tag also viel Zeit. Wir essen spät Frühstück und spielen vorher etwas im Zimmer. Es ist eine besondere Stimmung, und wir verbringen den Tag bewusster. Wir spielen vielleicht zusammen etwas am Computer, gehen raus, oder nehmen uns Zeit für ein Brettspiel mehr. Zu essen gibt es meist etwas Einfaches. Kartoffelsuppe, Puffer oder Spagetti. Weil nicht klar ist, wie lange die Kinder durchhalten, wird um sechs Uhr abends schon einmal eine kleine Feuerwerksbatterie gezündet. Wir haben an diesem Tag die Zeit für eine Nachtwanderung, können lange erzählen und haben Mitternacht noch ein tolles Feuerwerk vor unserem Balkon. Zwischendurch gibt’s eine kleine Brause und Kräuterbaguette. Kein Fokus auf Geschenke, die gemeinsame Zeit ist wichtig. Man kann es sogar besinnlich nennen. Besinnung auf die Liebsten, ohne Stress.

Auch wenn ich meine Kinder nicht habe, trifft das Wort „besinnlich“ den Kern. Am frühen Abend besuche ich sie, und wir zünden das obligatorische Feuerwerk. Bin ich nicht bei Freunden, mache ich danach etwas für mich, egal was. Zur Mitternacht hin, gehe ich meistens raus auf Wanderschaft, und kann meine Gedanken ordnen.

Diese beiden ruhigen Varianten sind für mich zu einem Ritual geworden, das ich nicht mehr missen möchte. Mit einem Minimum an Vorbereitungsstress verbringe ich einen ruhigen, besinnlichen Tag und genieße die Zeit mit meiner Familie, nehme mir Zeit für etwas Besonderes mit ihr, oder richte meine Aufmerksamkeit allein auf mich.

Man kann also sagen, zumindest für die Ruhigeren unter uns, Silvester ist das neue Weihnachten. Auch wenn Weihnachten trotzdem die Zeit bleibt, in der man auch entferntere Verwandte mal wiedersehen kann, liegt für mich nun viel von seiner Besinnlichkeit im Jahreswechsel.

Skyline