Nein, ich tue es nicht. Ich habe damit aufgehört, und ich fange nicht wieder damit an. Oder doch? Warum eigentlich nicht? Ich lade die App herunter. Die beste Dating-App, die ich kenne. OkCupid. Sie ist kostenlos, ich kann schreiben ohne zu zahlen und es gibt viele charakterisierende Fragen zu beantworten. Ferner ist zu wählen, mit welchen Antworten ich beim Gegenüber leben könnte. Aus den Antworten werden Prozentwerte errechnet, wie sehr ich zu anderen Leuten passen würde. (Diese Berechnung soll jedoch in der Vergangenheit auch schon zu Studienzwecken manipuliert worden sein.)
Ich wähle zwei Fotos von mir und lade sie aus dem Ordner „me“ meiner Dropbox hoch, den ich extra fürs Online-Dating anlegte. Man könnte mich als Dating-Plattform-Nomaden bezeichnen. Ich habe so einige Seiten ausprobiert und bin nie lange geblieben. Ich brauchte den „me“-Ordner also in regelmäßigen Abständen wieder, um neue Profile anzulegen.
Als nächstes sehe ich den Cursor blinken. Ich kann nichts schreiben. Ich will keinen Profiltext mehr verfassen, der mich entweder gut darstellt, oder versucht meine Introvertiertheit mitzuteilen ohne allzu selbsterniedrigend zu wirken. Ich will auch nicht mehr schreiben wie belesen ich vielleicht bin, oder mich anderweitig, auf Vorschuss, anderen öffnen. Ich lösche meinen Account und deinstalliere die App. So. Ich sitze am Schreibtisch und überlege wie ich den Abend nun herumkriegen soll.
So introvertiert bin ich eigentlich gar nicht. Ich kann sogar ein bisschen flirten. Bei den ganzen Reisefotos und Macker-Bildern der Menschen auf der Plattform schleicht sich bei mir jedoch ein kleines Minderwertigkeitsgefühl ein – wie immer. Ich weiß, dass dies nur aufgepeppte Profile sind, trotzdem schreckt mich das ab. Ich bin einfach nicht der Richtige für diese Dating-Mode.
Dating-Plattformen halte ich auf jeden Fall für zeitgemäß und ihre Nutzung ist in keiner Weise befremdlich für mich. Ich habe aber erlebt, wie ich dafür belächelt wurde. Ich glaube, dass sich wirklich Menschen finden können. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu verlieben, gering. Zumindest für mich. In einer Bar, im Park oder anderen Orten der physischen Welt kann ich in einer halben Sekunde entscheiden, ob ich jemanden mag. Bin ich auf einer Party, gefällt mir maximal ein Mädchen. Außerdem erkenne ich auch, ob sie mich wenigstens ein bisschen mag. Das ist also ein zusätzlicher Filter. Beim Online-Dating gibt es diese Intuition nicht. Dort sagt der Verstand und vielleicht der Penis, ob ein Foto gut aussieht. Genauso läuft es mit den Texten, die ausgetauscht werden. Das Herz kann sich zwar verlieben, allerdings nur in die Illusion von einer Frau. Es verliebt sich in die Vorstellung, die ich von meinem Gegenüber habe, und diese weicht zumeist stark von der Realität ab. Mimik, Gestik und Charakter sind einfach schwer über so eine Dating-Plattform transportierbar. Bei einem Treffen nicht enttäuscht zu sein, ist dann sehr schwierig. Aber auch wenn ich die Erwartungen herunterschraube, passt mir mein Gegenüber oft nicht. Irgendwas stört mich an ihrem Gebaren, oder an der Aura der Verzweiflung und dem unbedingten Wunsch, nicht mehr allein zu sein. Man muss beim Online-Dating also auch all diejenigen Treffen, die in der physischen Welt mit in der Bar sitzen, und die ich bereits ausgefiltert habe. Man benötigt also ein dickes Fell und Durchhaltevermögen. Besonders die Absagen für ein zweites Treffen setzten mir besonders zu. Ich weiß, dass ich damit die Person eventuell der Hoffnung beraube, die Suche sei zu Ende. Und auch mir geht es in dem Moment so.
In meiner Vorstellung gibt es jedoch Voraussetzungen, die eine größere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg versprechen. Ein Beispiel: Wenn jemand nach langer Suche endlich eine Beziehung will und den typischen Familientraum leben möchte, ist bei einem Gegenüber, dem es ähnlich geht, die Möglichkeit gegeben, dass es klappt. Allerdings erscheint mir diese Zweckverbindung doch zu Verstandes-gesteuert, und spricht mich persönlich einfach nicht an. Zumal dieser Zug irgendwie für mich abgefahren ist.
Ich denke darüber nach und versuche das flüchtige Gefühl zu greifen, dass mich den Account hat löschen lassen. Der Wunsch, mich wieder zu registrieren hat viel mit Einsamkeit und Langeweile zu tun. Das Widerstreben resultiert wohl aus meinen Erfahrungen. Mich unbekannten Personen zu öffnen kostet viel Kraft. Ich habe das Gefühl in eine Rolle gepresst zu werden. Glaube mich genötigt, nun dieses gemeinsame Projekt, auf das man sich ja im Voraus textuell verständigt hat, aufrecht zu erhalten. Ich erahne bereits die Enttäuschung, wenn ich die ganze Sache beende und meinem Gegenüber wehtun muss. Auch wenn nichts Intimes gelaufen ist. Soweit lasse ich es meist auch gar nicht kommen. Dann würde die ganze Sache noch schlimmer werden. Ich bin ein Gefühlsmensch, und wenn ich mit einer Frau schlafe, baut sich in mir der starke Wunsch auf, diese Frau dann auch zu lieben. Auch wenn das gar nicht der Fall ist. Ich will der perfekte Mann sein und merke zeitgleich, dass es nun mal nicht klappt – weil das Gefühl dazu fehlt. Ich ruhe in dem Moment nicht in mir und das kostet Energie. Dann zu gehen verursacht noch viel mehr Schmerz und letztendlich bleiben zwei Seelen zurück, verwundet und erschöpft, von der Suche nach einem Gefährten, der sie entweder trägt, oder im Idealfall, neben ihnen geht. Gar nicht traurig über den Verlust dieser flüchtigen Bekanntschaft, sondern wegen des Verlusts der eigenen Vorstellung von einer Beziehung, und der Erkenntnis, dass es nun mal nicht so einfach und schnell funktionieren kann.
Ja, jetzt weiß ich es also wieder Alles. Diese Schwere wollte ich einfach nicht mehr in meinem Leben haben. Ich möchte nicht die Hoffnung der Frau sein, dass sie jetzt glücklich wird, ohne dass sie es erstmal allein geschafft hat. Ich will auch nicht wissen, auf wen ich mich da einlasse, sondern ich möchte überrascht werden. Ich möchte die Informationen aus den Profiltexten lieber erfahren, als schon auswendig gelernt haben. Ich möchte bei einem Treffen nicht gleich den Erwartungsdruck spüren, sondern mich allmählich kennenlernen, und es für völlig offen empfinden, ob daraus etwas wird. Außerdem möchte ich mich aufheben. Aufheben für Diejenige, die die Mauer um mein Herz einreißen kann, so dass ich mich nicht mehr durch ein schmales Fenster darin zwängen muss. Ich möchte all meinen Mut zusammennehmen müssen, sie anzusprechen, anstatt dies gänzlich auszulassen. Erst wenn ich kämpfen möchte weiß ich, dass ich mich verliebt habe, und sie es offenbar wert ist.
Ich kann deine Zeilen absolut nachvollziehen. Ich habe mich auch schon x Mal auf irgendwelchen Datingseiten angemeldet und super schnell auch wieder abgemeldet. Meistens dann, wenn ich Dinge zu erledigen hatte, auf die ich keine Lust hatte und so in bisschen ins Schwärmen bzw. Träumen geraten bin.
Das Prinzip des Onlinedatings wird wohl in Zukunft immer populärer, dennoch hoffe ich ein wenig auf das Kennenlernen im Reallife,
Witzig fande ich deinen Kommentar, Moment ich zitiere: „Der Wunsch, mich wieder zu registrieren hat viel mit Einsamkeit und Langeweile zu tun. Das Widerstreben resultiert wohl aus meinen Erfahrungen. Mich unbekannten Personen zu öffnen kostet viel Kraft.“
Sich einem gegenüber zu öffnen, kostet immer Kraft und man geht ein gewisses Risiko ein. Witzig fand ich die Textstelle deswegen, weil du dich hier in deinem Blog womöglich viel intensiver öffnest und das auch wildfremden Menschen zugänglich machst. Aber ich kann es nachvollziehen – ich mache es ja auch nicht anders XD Mir ist eben nur aufgefallen.
Vielen Dank für Deinen Kommentar. Sich aus der Distanz durch den Internetkabelsalat jemand anderem zu öffnen, finde ich leicht. Mir ging es eher um die persönlichen Treffen, denen man sich dann ja auch aussetzt. Das Offenbaren von Schwächen und Gefühlen einem realen Menschen (persönlich) gegenüber, obwohl man ihn eigentlich kaum kennt, sondern erst eine Handvoll Nachrichten hin und hergeschrieben hat. Es ist, als würde man sich ins kalte Wasser stürzen, aber die Strömungen noch nicht gut kennen. Sicher ist das auch im realen Leben so, aber beim Online-Dating ging mir gerade das meist ein wenig zu schnell.
Okay, dann hatte ich es wohl doch nicht so eindeutig verstanden, wie ich zuvor dachte.
Mit dem Kennenlernen über ein Internetportal legt man schon ein ordentlichen Tempo vor, dieses dann im realen Leben wieder zu bremsen scheint dann sehr schwierig bis unrealisierbar zu sein.
Ich finde Online-Dating auch sehr schwierig und habe diverse Portale und Apps ausprobiert und scheiterte letztendlich immer an mir selbst. Ein zwanghaftes „Hey na“ ist online genauso öde wie in einer Kneipe, nur kommt es schriftlich noch viel platter rüber, da sich der gegenüber doch etwas mehr Gedanken hätte machen können.
Die Erwartungshaltung von der du sprichst hängt immer im Raum und erdrückt mich ebenfalls. Amors Pfeil ist eher ein Damokles-Schwert: „Wir haben doch so nett geschrieben, nun hat es auch zu funken!“. Furchtbar.
Ich habe mich ebenfalls von all dem frei gemacht und mich abgemeldet. Nun habe ich zwar das Gefühl „nicht aktiv“ etwas gegen mein Singledasein zu unternehmen, aber das ist besser auszuhalten als der ganze Online-Dating-Mist. Das Leben auf sich zukommen zu lassen ist acuh mal schön.
Du schreibst toll!
Wow, vielen Dank.
Ich denke man kann auch ohne Online-Dating aktiv sein. Das Leben auf sich zukommen lassen klingt doch genau richtig. Vielleicht ein paar Hobbies nach draußen verlegen und abends die ein oder andere Veranstaltung besuchen. Hauptsache man sucht sich Dinge, die man gern tut. Erzwingen kann man eben nichts, aber man verändert die Chancen zu seinen Gunsten.
Sehr interessanter und wunderbar geschriebener Artikel mit Tiefgang. In einigen Passagen habe ich mich tatsächlich selbst wiederfinden können.
Ob Online Dating Seiten gut oder weniger gut sind, wage ich an dieser Stelle nicht zu beurteilen und liegt immer im Auge des Nutzers. Aber ich stimme Dir zu, wenn es darum geht, derartige Seiten als zeitgemäß anzusehen.
Was aber scheinbar, und das ist meine Erfahrung, die meisten Online Dating Seiten innehaben, ist ein umfänglicher Fragekatalog aus vielen Bereichen des Lebens, die der Suchende zunächst einmal zu beantworten hat, um sich schlussendlich überhaupt registrieren zu „dürfen“. Da nützt es dann auch nichts, wenn die eine oder andere Frage übersprungen wird, weil sie mir zu privat und intim erscheint. Des Weiteren wird dir nahe gelegt, ein Foto von sich hochzuladen, denn es wird suggeriert, dass Mann/ Frau nur mit einem Konterfei, welches im Idealfall noch gut in Szene gesetzt ist, die Chancen, sein passendes Gegenstück zu finden, erhöht.
Als Auszufüllender derartiger Fragebögen erscheint es mir dann oft sinnlos und fragwürdig, durch Multiple Choice Fragen seine „bessere Hälfte“ zu finden oder vorgeschlagen zu bekommen. Aber auch als Leser von bereits ausgefüllten Profilen erscheinen mir viele Profiltexte/ Antworten doch sehr plattitüd und vermitteln mir nur eine Karikatur meines Gegenübers, denn wirklich kennen lernen werde ich diesen Menschen hier nicht.
Das Absurdum an sich aber ist und bleibt, dass mit der Suche nach dem eigenen Glück und dem Wunsch nach Zweisamkeit Kuhhandel betrieben wird. Und so bleibt es nicht aus, dass viele Dating-Plattformen schon nach kurzer Zeit zur Kasse bitten, um die gewählte Seite in vollem Umfang und ohne Einschränkungen (weiterhin) nutzen zu können. Ich möchte aber nicht bezahlen, denn das eigene Glück und die damit verbundenen Zufriedenheit sollten nie hinten anstehen – sie sind per se unbezahlbar.
Die eigentliche Krux an der Sache ist aber am Ende meine eigene Motivation, die mich nach kurzer Zeit verlässt, weil ich der Suche und damit viele Klicks später überdrüssig geworden bin, mir die Ambition und die Zeit fehlt, auf dieser Ebene weiter zu suchen.
Vielen Dank Katja, für den schönen Kommentar. Sicher sollte man auch nicht vergessen, dass die Plattformbetreiber aber leben müssen. Mir ist da auch ein finanzieller Beitrag lieber als versteckte Zahlungen durch Datensammlung. Die Gebühren sollten jedoch nicht zu hoch sein, wie es manche Betreiber leider praktizieren. Ich stimme Dir zu, dass Jeder selbst entscheiden darf, wie er Online-Dating findet. Manchmal gibt es ja auch schöne Erfahrungen dabei.