Gedankenverschmutzung und digitale Identität

Es gibt viele absurde Verschwörungstheorien, die behaupten, wir alle werden irgendwie manipuliert und von Denen beeinflusst, Dinge zu tun, auf die wir selbst nicht gekommen wären. Es gibt jedoch auch reale Versuche: Bei der Werbung gilt das Kredo der Manipulation. An dieser Stelle muss hier festgestellt werden, dass Werbung prinzipiell etwas Positives ist. Ohne sie hätten Firmen kaum eine Chance, auf sich Aufmerksam zu machen, geschweige denn, neue Produkte anzupreisen.

Doch wie weit darf dieses Anpreisen gehen? Wie suggestiv darf die Manipulation sein, und die zentrale Frage in diesem Artikel: Wie viel darf es davon geben?

Besonders im Internet blühen die kostenlosen Plattformen, die sich offiziell nur durch Werbung finanzieren. Dementsprechend hoch ist das Aufkommen der Werbung. Überhaupt scheint Werbung gerade das Geschäft im Internet zu sein. Es war nie leichter, dem Nutzer persönlich zugeschnittene Anzeigen darzureichen. Webseiten schreien an den dicken Rändern in Signalfarben, um die Aufmerksamkeit potentieller Kunden zu wecken, manche Kurznachrichten sind nur unscheinbar mit kleiner Schrift als „Gesponsert“ markiert. Gerade gelesene Texte werden mit Bildern oder Nachfragen überlagert. Man ist einen Großteil der Zeit und der eigenen Aufmerksamkeit im Netz allein damit beschäftigt, etwas wegzuklicken, zu ignorieren, oder frustriert die Seite im Smartphone noch einmal zu öffnen, weil das bunte Popup nicht zuging. Besonders das private Fernsehprogramm mutet zum Teil als eine Maschine an, deren einziger Zweck die Konsumindoktrination der Zuschauer ist.

Dies ist allerdings (unter Ausnahmen) vertretbar, wenn das Angebot kostenlos ist. Es ist nicht wirklich umsonst, wir bezahlen sehr wohl dafür. Die Währungen heißen Zeit, Frust, Datenvolumen und Konzentration. Nicht zuletzt unsere persönlichen Daten mit denen gehandelt wird, um die es aber hier nicht vorrangig gehen soll.

Was allerdings nicht vertretbar ist, ist Werbung die einem präsentiert wird, wenn man sich Werbung anschauen möchte. Ein gutes Beispiel sind hier die Anzeigen vor Film- oder Spielvorschaufilmchen (Trailer). Wir zahlen dabei also im Grunde die Werbung für den Herausgeber, um dann im Kino teilweise horrende Preise für den tatsächlichen Film zu zahlen, nachdem wir die Karten auf einer, völlig mit Werbung überfrachteten, Kinowebseite reserviert hatten.

Der Werbeempfänger wird dadurch zum überreizten Goldesel für die, mittlerweile zahlreichen, Werbeagenturen, die sich so ein großes Stück vom Kuchen des Endverbrauchers und des Produzenten einfordern. Es scheint, zum Teil, kaum noch auf das Produkt anzukommen, solange die Werbung stimmt, und die Qualität der Ware wenigstens ausreicht (gehypte Produkte).

Der, in der freien Marktwirtschaft, nur unzureichend gepflegte Wildwuchs nimmt mittlerweile viel Raum ein. Sicher liegt das auch daran, dass unser Netz ein internationaler Raum ist, und noch immer keine internationale Behörde dafür existiert. Wenn die Firmen zu viel Werbung betreiben, so dass sich der Kunde prozentual immer weniger davon merken kann, baut sich eine Blase auf, an der nur die Werbeagenturen verdienen und besonders kleinere Firmen und die Endverbraucher die (überforderten) Verlierer sind.

Eine Möglichkeit dagegen anzugehen wäre, das Maß der Werbung per Gesetz zu begrenzen. Doch wie definiert man dieses Maß? Was ist da Entscheidend? Die Größe der Anzeige auf der Webseite, die Farbwahl und der Kontrast zum eigentlichen Inhalt? Diese Vorgehensweise würde so sehr an den individuellen Empfindungen der Menschen vorbeigehen, wie sie an der Freiheit der Marktwirtschaft kratzt, welche zu Recht kritisiert, aber nur wegen der Werbung wohl nicht einfach veränderbar ist.

Da es jedoch Gesetze zum Erhalt der Umwelt gibt, meine ich, sollte es auch welche zum Schutz gegen Gedankenverschmutzung geben, denn nichts Anderes ist dieses Ausmaß der Werbung.

Jede Werbung enthaltende Internetplattform, sollte ihre Dienste auch werbefrei gegen eine monatliche Gebühr anbieten müssen. Diese Gebühr muss den Werbeeinnahmen pro Kopf und Zeitraum entsprechen – also eigentlich recht niedrig sein. Der Nutzer hat so die Wahl, zwischen der kostenlosen, Reizüberflutung, und der, nur mit Geld bezahlten, bodenständigen Variante. Diese Bezahlvariante muss leicht, kurzfristig und übersichtlich kündbar sein. Außerdem dürfen Nutzer nicht für Werbung von Konsumproduzenten aufkommen müssen, sei es durch Geld oder mentale Kosten (z.B. Werbung vor Filmtrailer).

Dieser Ansatz hat noch ein paar Haken, die jedoch behandelbar sind.

Zum Einen stellt sich die Frage, ob man für jede Internetseite, die man werbefrei genießen möchte, ein eigenes Benutzerkonto braucht, um sich zu identifizieren und die Bezahlung abzuwickeln. Der persönliche Aufwand wäre zu hoch und würde den Nutzer dazu verleiten all die Passwörter in einen potentiell unsicheren Passwort-Save oder Browser-Passwortspeicher abzulegen. Oder Noch schlimmer, immer dasselbe Passwort zu benutzen („1234“).

Der OpenID-Ansatz ist hier fast passend. Ein Benutzerkonto für Alles. Zumindest dem Anschein nach. Dieses darf nicht von wirtschaftlichen Unternehmen verwaltet werden, wie es bereits bei mindestens einem großen Versandhändler oder sozialem Netz der Fall ist. Daten sind schützenswert, und sollten daher  eher von einer unabhängigen Behörde verwahrt werden. Jedes dieser Nutzerkonten sollte in Unterkonten aufgegliedert werden können, welche Außenstehende nicht miteinander in Beziehung bringen können. Dieser Nutzerauthentifizierungsdienst müsste gleich eine Bezahlfunktion nach außen hin kapseln. Der Nutzer meldet sich mit seinem Stammpasswort an, doch an die Webseite wird die, dafür vorher ausgewählte Unter-ID geliefert. Eine Pflicht für Internetplattformen, diese behördliche Nutzerverifikation zusätzlich neben herkömmliche Nutzerregistrierung anzubieten, wäre ein wichtiger Schritt bei der Umsetzung. Natürlich besteht dabei die Gefahr, dass genau diese Nutzerdaten dann vom Staat extrahiert, und missbraucht werden. Wer sich heutzutage ein Auto oder ein Kanu leiht wird jedoch ebenfalls seinen Personalausweis vorzeigen müssen. Auch ein Zeitungsabonnent gibt seine Daten an den Verleger heraus. Von dort ist es bereits heute nicht mehr weit, bis zur geheimdienstlichen Einsicht in die Kundendaten. An irgendeiner Stelle kommen wir immer an den Punkt der Staatseinsicht. Wenn der Staat die eigenen Daten hält, ist dies das wohl geringere Übel, als wenn dies Unternehmen tun, und diese Daten ausschlachten. Trotzdem  müsste man eine solche beschriebene Netzbehörde strengen Kontrollen aussetzen, um sie soweit wie möglich unabhängig zu machen. Die Unabhängigkeit sollte der einer nicht-staatlichen Organisation (NGO) entsprechen, aber durch den Staat finanziert werden.

Als weiteren Haken könnte man die Begünstigung des Zwei-Klassen-Internets anführen. Dieser Vorwurf löst sich jedoch in Luft auf, sobald man sich klar macht, dass diese besagten kostenlosen Plattformen in den Konkurs gehen würden, wenn sie die Werbung nicht hätten. Jedes wirtschaftliche Unternehmen muss Einnahmen generieren, um zu überleben. Darüber hinaus sollte die Gebühr für Werbefreiheit relativ niedrig ausfallen, wenn sie auf der Höhe der Werbeeinnahmen pro Kopf liegen soll. Interessant dabei ist auch, dass der Bürger endlich einen Vergleichswert bekäme, wieviel ein Unternehmen pro Kunde durch Werbung verdient.

Das größte Hindernis ist die grenzübergreifende Natur des Internets. Oder vielmehr die Tatsache, dass bisher keine international bemächtigte Behörde in dieser Sache existiert. Wenn in Deutschland ein solches Konzept umgesetzt wäre, müssten sich werbegestützte Plattformen nur Standorte außerhalb unserer Lande (wo sie meist bereits sitzen) zurückziehen, deutsche Nutzer können sie weiterhin nutzen.

Eine Lösung dieses Problems bestünde darin, diese Vorgaben international durchzudrücken, jedes, am Internet teilnehmende Land verpflichten, sie zu erfüllen. Dies ist wohl besonders schwierig zu erreichen und erfordert einen Konsens der Regierungen.

Auch möglich wäre das Blockieren von Internetplattformen im Land, welche die Auflagen nicht erfüllen. Dies wird wohl mit dem Freiheitsgedanken nicht vereinbar sein, auch wenn die Freiheit durch die Werbefreiheitsoption selbst nicht beschränkt, sondern wohl ihre Qualität erhöht wird. Eine Bezahlfunktion gekoppelt an eine behördliche Nutzerauthentifizierung sollte für jede Internetplattform umsetzbar sein, sofern sie gut dokumentiert und ausgereift ist, bzw. gepflegt wird.

Ein erster großer Meilenstein ist das Aufsetzen der erweiterten OpenID-artigen Nutzerauthentifizierung. Erst wenn diese Infrastruktur geschaffen ist, ob nun durch eine staatliche oder internationale Organisation, gibt es die Möglichkeit auch gegen die Masse der Werbung sinnvoll anzugehen. Dies würde geschehen, ohne die Unternehmen einzuschränken, da deren Verdienst gleich bliebe, und  Vorteile für die Nutzer – ihren Kunden – hinzukämen. Im Grunde wäre dies auch für die Unternehmen selbst eine positive Entwicklung, da sie so befähigt werden, dem Kunden einen qualitativ besseren Eindruck ihres Dienstes zu vermitteln, wenn nicht auf jedem freien Bildschirmpixel eine Werbung abgespielt wird.

Das Wichtigste an der eben genannten Organisation ist, dass sie in erster Linie für die Menschen gemacht sein sollte. Es geht um Dateneigentum und Erhaltung der Anonymität im Netz gegenüber Internetdiensten und auch dem Staat selbst. Wie bereits beschrieben, bietet sich dem Staat schon heute die Möglichkeit Kundendaten von Firmen einzufordern. Nur unter den, dafür notwendigen Voraussetzungen sollten, von der genannten Internetbehörde, Nutzerdaten abgefragt werden dürfen. Außerdem ist es wichtig, dass sämtliche Daten auch für die Organisation unlesbar verschlüsselt und nur mit dem Nutzerpasswort einsehbar sind (Kontodaten, Verbindungen zu Unter-Identitäten, etc.)

Da meine Daten bereits zu Hauf im Umlauf sind, ohne, dass ich es kontrollieren kann, würde ich mich über eine unterstützende Infrastruktur freuen. Auch wenn sie durch die steuerliche Finanzierung letztlich ein Teil des Staatsapparates wäre, glaube ich, dass die Daten durch Kontrollinstanzen besser geschützt wären, als sie es heute sind. Zudem käme auf den Nutzer eine Vereinfachung für Bezahlvorgänge, eine größere Übersicht über eigene Nutzerkonten und teilweise anonymisierten Unteridentitäten  zu.

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Die unterschätzte Generation

Die Generation, der ich angehöre, wird gern geringgeschätzt. Es handelt sich hier um die zwischen 1980 und 2000 (es gibt widersprüchliche Angaben) geborenen Bürger – der Generation Y. Immer wieder hört man, ihre Angehörigen wären faul und verwöhnt. Aber was will man machen? Als Chef muss man nun mal mit ihnen leben. Früher war alles besser. Früher haben die Leute noch richtig gearbeitet und weniger genörgelt.

Die geneigte Leserin möge mir verzeihen, wenn ich hier pauschalisiere. Da die Debatte um die Generation Y jedoch voll davon ist, erlaube ich mir, hier von mir auf Andere zu schließen.

Vielleicht ist es das Schicksal jeder Generation, von ihren Vorgängern mit schüttelndem Kopf betrachtet zu werden. Artikel wie „Warum die Generation Y so unglücklich ist“ (Welt.de, 31.10.2014) zeigen wie wenig zuerst versucht wurde, diese Menschen zu verstehen. Es wurden sich zum Teil zynische Erklärungen zurechtgeschustert und Tipps gegeben, was man als Y tun könnte, um doch etwas zu erreichen. Eine ganze Generation wurde zu Traumtänzern erklärt. Andere Artikel versuchen Chefs Hilfestellungen zu geben, wenn sie es mit den Ypsilons zu tun bekommen. Mittlerweile zeigt eine kurze Suche im Internet, dass immer mehr Artikel geschrieben werden, die akzeptieren, wie meine Generation sich gibt und dies auch als Chance begreifen. Die Work-Life-Blend sei wichtig, „Glück schlägt Geld“ (Kerstin Bund 2014, Murmann Verlag), und so weiter.

Trotzdem scheint mir, dass dieses Phänomen noch nicht in seiner Gänze umrissen ist. Die Generation Y wird fast ausschließlich nur im Zusammenhang mit der Arbeitswelt genannt. Jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Auswirkungen hat dies nicht nur auf das Arbeitsleben.

Einige von uns sind die ersten Digital Natives, Andere verbrachten den Großteil ihrer Kindheit ohne Internet, und lernten es erst in ihrer Jugend kennen. Wir schlagen somit die Brücke in die digitale Welt. Mehr als jede andere Generation verarbeiten wir für uns und auch untereinander die Vereinbarkeit des Analogen mit dem Digitalen. Wir denken über Datenschutz nach und gleichzeitig verweigern wir uns dem Netz nicht. Dies eröffnet ungeahnte Räume für Diskussionen und Wissensbeschaffung. Der massenhafte Austausch an Informationen bewirkt zwangsweise eine verstärkte Individualisierung des Ichs. Jeder kann sich, in die ihn interessierenden Richtungen informieren und weiterentwickeln. Außerdem mussten wir lernen, mit Fehlinformationen umzugehen. Viele prüfen kritisch, ob Informationen Hand und Fuß haben. Fehlinformationen werden im Idealfall als Solche enttarnt und öffentlich gemacht. Wir leben in einer Welt der falschen Doktoren, der Finanzkrisen, Spionageaffären und einer Lobbyismus-treuen Mainstreampolitik. Außerdem sahen wir unsere Eltern sich abrackern und erfahren auch selbst die Optimierungen der Arbeitsplätze zu Lasten der Menschlichkeit. Dadurch, dass wir das Netz mitgestalten, kann z.B. nicht mehr totgeschwiegen werden, dass Geld Grenzen überschreiten darf, und Menschen dies oft verwehrt bleibt. Wir tragen Kleidung von Unternehmen, die damit Leute anderswo ausbeuten. Wir kaufen Geräte, die pünktlich nach zwei Jahren den Geist aufgeben (geplante Obsoleszenz), obwohl die Ressourcenbeschaffung dafür bereits Kriege in Afrika zur Folge hatte („Krieg in Kongo – Auf der dunklen Seite der digitalen Welt“ FAZ.net, 23.08.2010). Wir sehen das Wachstum der Wirtschaft nur um seiner selbst willen, und zahlen Mieten die sich Berufseinsteiger kaum leisten können.

Im Großen und Ganzen: wir sind enttäuscht. Und wir wollen es besser machen. Wie es gehen könnte, erfahren wir aus dem großen Informationshaufen – dem Internet. Und wir tauschen uns darüber aus. Wir erfahren vom Grundeinkommen und erfolgreichen Probeläufen, welche vor einigen Jahrzehnten nur ausgewählte Experten gekannt hätten. Es gibt immer mehr nachhaltige Betriebe. Und ja, auch eine veränderte Einstellung zur Arbeit ist die Folge. Wir wollen uns verwirklichen, wie so viele Andere es auch tun, von denen wir im Netz lesen. Auch ohne Internet, hätte es eine Generation gegeben, die sich ähnliche Fragen stellt. Doch das Netz existiert und scheint als Beschleuniger zu wirken.

Über kurz oder lang wird sich damit die gesamte Gesellschaft verändern, denn irgendwann sitzen die Mitglieder der Generation Y (englisch „why“) auch in den Parlamenten. Es wird die Frage nach dem „Warum“ gestellt. Nicht nur, „warum sollte ich mich abrackern, wenn ein sechs-Stunden-Arbeitstag viel angenehmer ist, und ich so Zeit habe, Freunde zu sehen?“ Es geht auch um das „Warum sollten wir die Welt nicht in Frage stellen, und versuchen zu ändern, was nicht funktioniert, und nur wenigen nützt?“

Väter betreuen neben der Arbeit vermehrt ihre Kinder, und haben dafür kaum Vorbilder, sondern erkämpfen vor sich selbst und Anderen (Freunden, Chefs, Kollegen, etc.) neue Konzepte. Noch schwieriger ist die Sache der Gleichberechtigung für Frauen. Die Frau muss für sich herausfinden, ob sie eine Kampf-Feministin sein möchte, oder einfach eine Frau, die in ihren Rechten nicht eingeschränkt werden will. Vielleicht will sie auch Hausfrau sein. Das alles darf im Schlafzimmer dann auch noch völlig anders sein.

Das Informationszeitalter wird erst ist 50 oder mehr Jahren in seiner Wucht und seinen Folgen ganz erkannt werden. Der Austausch von Informationen quer über die ganze Welt ohne Zeitverzögerung, hat eine ganze Reihe von diversen Themen auf den Plan gebracht, die nun verarbeitet werden wollen. Und so vielfältig die Themen so vielfältig sind auch die Menschen, die über das Netz ähnlich Denkende finden.

Es ist nicht zu leugnen, dass die vorangegangenen Generationen viel für uns geleistet haben. Die Perspektive der Kriegsgeneration war jedoch eine völlig Andere. Nichts ist falsch daran, Bestehendes in Frage zu stellen und es langsam, im gesunden Diskurs mit der Konservative zu verändern. Besonders wenn es sich um Verbesserungen der Lebensweise handelt. Vielleicht wollen Viele nicht mehr um jeden Preis unermesslich reich werden. Eventuell können, in der Familie präsente, Väter in der Arbeit keine 110 % geben. Vielleicht wollen Einige keine Werbelügen mehr glauben. Vielleicht ist es das einfache Glück, dass viele fasziniert. Was soll schlecht daran sein, sich für eine faire Welt einzusetzen? Warum arbeiten bis zum Umfallen, damit wir Überschuss produzieren, wenn die Lage es eigentlich erlauben würde, das Tempo zu drosseln und das Menschsein zu pflegen. Irgendwann mussten der Schock der Industrialisierung, später der freien Marktwirtschaft und die damit verbundene Reduzierung des Menschen allein auf seine Funktion, wieder abflauen. Zumindest hoffe ich, dass es eines Tages dazu kommt.

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Abseits des Weges

Globale Intelligenz durch soziale Netze

Vor fünf Jahren registrierte ich mich bei Twitter auf Grund eines Online-Artikels der FAZ („Bedeutung der „Retweets“ – Auf Twitter entsteht eine kollektive Intelligenz von Holger Schmidt am 18.05.2010).

Dieser Artikel beschreibt Die Netzstruktur der Plattform recht vielversprechend. Allerdings wird kaum auf die Intelligenzentstehung selbst eingegangen, was ich hier ergänzen möchte. Jeder Nutzer ist ein Knoten in einem Netz. Er kann sich mit anderen Knoten verbinden (folgen) und deren Nachrichten empfangen. Ebenso können andere Nutzer sich mit unserem ersten Knoten verbinden. Darüber hinaus kann jeder Teilnehmer, Nachrichten von Anderen weitergeben (retweeten). So entsteht ein Netz, welches ähnlich funktioniert wie das neurale Netz im Gehirn. Ein Neuron in unserem Kopf gibt Reize an die verbundenen Neuronen erst weiter, wenn diese für dieses Neuron stark genug sind. In sozialen Netzwerken wie Twitter entspricht jeder Nutzerknoten also im Grunde einem Neuron, nur dass jedes Neuron hier wesentlich intelligenter ist. Dazu kommt, dass jeder Teilnehmer die Verknüpfungen zu anderen lösen, und auch immer wieder Neue knüpfen kann.

Da ich nur Twitter kenne, beziehe ich mich in diesem Artikel auf diese Plattform. Natürlich sind auch Facebook und Andere mittlerweile in der Lage, Meldungen zu teilen. Der Zwang, auf Twitter alles kurz und prägnant formulieren zu müssen, kommt mir hier jedoch sehr gelegen. Jeder Teilnehmer kann schnell entscheiden, wie wichtig die Meldung für ihn ist.

Anfang des Jahres gab es auf Twitter an die 288 Millionen Nutzer. Unser Gehirn hat ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen. Das ist natürlich ein gewaltiger Unterschied. Trotzdem sind 288 Millionen nicht wenig. Hinzu kommt das hier hinter jeder Nervenzelle ein ganzer Mensch steht, und von den 100 Milliarden Neuronen im Gehirn viele für die Steuerung des Körpers zuständig sind.

Die Aussage des FAZ-Artikels, es entstünde eine kollektive Intelligenz auf Twitter, war für mich, als Liebhaber von Utopien, der Auslöser, mich dort zu registrieren. Ich wollte unbedingt dabei sein, wenn so etwas passiert. An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es bereits geschehen ist, zum Erscheinen des Artikels sogar bereits geschehen war. Nur nicht in dem Ausmaß wie heute.

Es gibt längst Algorithmen, die analysieren, wie die Stimmung auf Twitter ist. Hochrechnungen zu Wahlen, Analysen, über die Beliebtheit von Fernsehserien und Vieles mehr. Was ist ein Shitstorm Anderes als der Ausdruck einer wütenden Intelligenz? Eine signifikante Menge Neuronen feuert empörte Nachrichten und färbt so die Stimmung des Netzwesens, die von RTL zwei Tage später ausgewertet wird.

Sogar unsere Sprache hat sich bereits angepasst. „Netzbürger“ bilden im Netz auf vielen Plattformen die „Netzgemeinde“. Die Bedeutung des letzten Begriffes ist nicht mehr weit von der Bezeichnung des „Allwesens“ entfernt, der Vereinigung aller Menschen als Wesen in der Datensphäre aus Dan Simmons Die Hyperion-Gesänge.

Wichtige Neuigkeiten wie die Tötung Osama bin Ladens (2011), oder Vorfälle wie die Notlandung auf dem Hudson River (2009) werden blitzschnell verbreitet und bewegen die Netzgemeinde zu einem großen Teil.

Natürlich gibt es auch sehr viele Nachrichten, die lediglich Unterhaltungswert aufweisen, oder schlichtweg falsche Informationen verbreiten. Allerdings geschehen solche Dinge auch in unseren Köpfen. Gedanken, die wir verwerfen, Ideen, die uns Angst machen oder zum Lachen bringen und Überlegungen die gar nicht zu uns passen, die wir aber einmal durchspielen wollten.

Es ist, als ob es ein großes offenes Gehirn gibt, Und dank Auswertungsalgorithmen können wir darin Gedanken lesen. Ja sogar Gefühle feststellen, wie all die Mitleidsbekundungen nach Terroranschlägen oder ertrunkenen Vertriebenen im Mittelmeer.

Nun könnte jemand behaupten, dies sei nicht Intelligenz, sondern nur das Echo von vielen Intelligenzen, die sich im Netz mitteilen. Das stimmt nur zum Teil.

Der Duden definiert Intelligenz folgendermaßen „[Die] Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten“ (Quelle: http://www.duden.de/rechtschreibung/Intelligenz; 17.11.2015).

Da stellt sich die Frage, ob die Netzgemeinde als Wesen denkt, nicht nur Gedanken wiedergibt, sondern aus verschiedenen Ideen und deren Abwägung wieder neue Ideen oder Gedanken entwickelt. Aber passiert nicht gerade dies, wenn sich online zwei Menschen austauschen und vielleicht gegenseitig inspirieren? Andere versuchen Menschen von ihrer Meinung zu überzeugen. So ändert sich unter Umständen das Verhalten der beteiligten Nutzer (Neuronen) im sozialen Netz. Manchmal hat dieser Denkprozess aber auch handfestere Folgen – konkretes Handeln. Manche Unterschreiben, nach der Verbreitung von wichtigen Meldungen eine entsprechende Petition, oder organisieren Proteste (zum Beispiel: der arabische Frühling).

Man sollte dem Phänomen also tatsächlich eine Intelligenz zusprechen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine künstliche Intelligenz. Es scheint eher eine Symbiose von künstlicher und menschlicher Intelligenz zu sein. Denn neben der Eigenschaft als Neuron in diesem neuronalen Netz übernehmen wir Menschen noch eine andere wichtige Funktion: Die des Sinnesorgans. Jeder Reiz, ob aktuell oder als Erinnerung, der uns zu einer Meldung im sozialen Netzwerk veranlasst, ist für die Netzgemeinde ein Sinneseindruck. Viele scheint es richtiggehend süchtig zu machen, diese Funktion zu erfüllen. Wir halten überall unser Smartphone hoch und knipsen schicke Bilder für Instagram und posten es auch gleich bei Twitter oder Facebook (oder Beiden). Die uns umgebenden Neuronen bewerten diesen Eindruck durch die Favorisierungsfunktion, oder leiten die Meldung sogar gleich weiter. Wichtige Eindrücke entgehen dem Netzwerk durch diese Funktion meistens nicht, und beeinflussen – je nach Brisanz – den gesamten Denkprozess der Netzgemeinde.

Intelligenz ist also durchaus vorhanden. Daran schließt sich jedoch auch direkt die Frage nach dem Bewusstsein an. Ist sich das Netzwesen seiner selbst bewusst? Betrachtet man nur den künstlichen Teil auf den Servern muss die Antwort auf diese Frage sicher „Nein“ lauten. Schauen wir jedoch über das Gesamtbild, den menschlichen Teil vereinigt mit dem Technischen, sieht es nicht mehr ganz so einfach aus. Menschen die twittern, tun dies unter Umständen mit einem Gefühl von „Das muss ich der Welt mitteilen!“ oder, „Oh Gott, dass nimmt mich so mit, ich muss mich den Anderen anschließen!“. Dies geschieht dann im Grunde mit einem Gedanken an die Netzgemeinde, mit dem Bewusstsein, ein wichtiger Teil des Ganzen zu sein.

Da viele Netzbürger Teil mehrerer sozialer Netze sind, und sich nicht unbedingt auf jeder Plattform mit den gleichen „Neuronen“ verknüpfen, bilden die verschiedenen sozialen Netze zusammen die globale Intelligenz. Sicher ist diese Intelligenz anders als die eines einzelnen Menschen, entspricht jedoch der Definition aus dem Duden. Und wir sind ein Teil davon.

Online Dating

Nein, ich tue es nicht. Ich habe damit aufgehört, und ich fange nicht wieder damit an. Oder doch? Warum eigentlich nicht? Ich lade die App herunter. Die beste Dating-App, die ich kenne. OkCupid. Sie ist kostenlos, ich kann schreiben ohne zu zahlen und es gibt viele charakterisierende Fragen zu beantworten. Ferner ist zu wählen, mit welchen Antworten ich beim Gegenüber leben könnte. Aus den Antworten werden Prozentwerte errechnet, wie sehr ich zu anderen Leuten passen würde. (Diese Berechnung soll jedoch in der Vergangenheit auch schon zu Studienzwecken manipuliert worden sein.)

Ich wähle zwei Fotos von mir und lade sie aus dem Ordner „me“ meiner Dropbox hoch, den ich extra fürs Online-Dating anlegte. Man könnte mich als Dating-Plattform-Nomaden bezeichnen. Ich habe so einige Seiten ausprobiert und bin nie lange geblieben. Ich brauchte den „me“-Ordner also in regelmäßigen Abständen wieder, um neue Profile anzulegen.

Als nächstes sehe ich den Cursor blinken. Ich kann nichts schreiben. Ich will keinen Profiltext mehr verfassen, der mich entweder gut darstellt, oder versucht meine Introvertiertheit mitzuteilen ohne allzu selbsterniedrigend zu wirken. Ich will auch nicht mehr schreiben wie belesen ich vielleicht bin, oder mich anderweitig, auf Vorschuss, anderen öffnen. Ich lösche meinen Account und deinstalliere die App. So. Ich sitze am Schreibtisch und überlege wie ich den Abend nun herumkriegen soll.

So introvertiert bin ich eigentlich gar nicht. Ich kann sogar ein bisschen flirten. Bei den ganzen Reisefotos und Macker-Bildern der Menschen auf der Plattform schleicht sich bei mir jedoch ein kleines Minderwertigkeitsgefühl ein – wie immer. Ich weiß, dass dies nur aufgepeppte Profile sind, trotzdem schreckt mich das ab. Ich bin einfach nicht der Richtige für diese Dating-Mode.

Dating-Plattformen halte ich auf jeden Fall für zeitgemäß und ihre Nutzung ist in keiner Weise befremdlich für mich. Ich habe aber erlebt, wie ich dafür belächelt wurde. Ich glaube, dass sich wirklich Menschen finden können. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, sich zu verlieben, gering. Zumindest für mich. In einer Bar, im Park oder anderen Orten der physischen Welt kann ich in einer halben Sekunde entscheiden, ob ich jemanden mag. Bin ich auf einer Party, gefällt mir maximal ein Mädchen. Außerdem erkenne ich auch, ob sie mich wenigstens ein bisschen mag. Das ist also ein zusätzlicher Filter. Beim Online-Dating gibt es diese Intuition nicht. Dort sagt der Verstand und vielleicht der Penis, ob ein Foto gut aussieht. Genauso läuft es mit den Texten, die ausgetauscht werden. Das Herz kann sich zwar verlieben, allerdings nur in die Illusion von einer Frau. Es verliebt sich in die Vorstellung, die ich von meinem Gegenüber habe, und diese weicht zumeist stark von der Realität ab. Mimik, Gestik und Charakter sind einfach schwer über so eine Dating-Plattform transportierbar. Bei einem Treffen nicht enttäuscht zu sein, ist dann sehr schwierig. Aber auch wenn ich die Erwartungen herunterschraube, passt mir mein Gegenüber oft nicht. Irgendwas stört mich an ihrem Gebaren, oder an der Aura der Verzweiflung und dem unbedingten Wunsch, nicht mehr allein zu sein. Man muss beim Online-Dating also auch all diejenigen Treffen, die in der physischen Welt mit in der Bar sitzen, und die ich bereits ausgefiltert habe. Man benötigt also ein dickes Fell und Durchhaltevermögen. Besonders die Absagen für ein zweites Treffen setzten mir besonders zu. Ich weiß, dass ich damit die Person eventuell der Hoffnung beraube, die Suche sei zu Ende. Und auch mir geht es in dem Moment so.

In meiner Vorstellung gibt es jedoch Voraussetzungen, die eine größere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg versprechen. Ein Beispiel: Wenn jemand nach langer Suche endlich eine Beziehung will und den typischen Familientraum leben möchte, ist bei einem Gegenüber, dem es ähnlich geht, die Möglichkeit gegeben, dass es klappt. Allerdings erscheint mir diese Zweckverbindung doch zu Verstandes-gesteuert, und spricht mich persönlich einfach nicht an. Zumal dieser Zug irgendwie für mich abgefahren ist.

Ich denke darüber nach und versuche das flüchtige Gefühl zu greifen, dass mich den Account hat löschen lassen. Der Wunsch, mich wieder zu registrieren hat viel mit Einsamkeit und Langeweile zu tun. Das Widerstreben resultiert wohl aus meinen Erfahrungen. Mich unbekannten Personen zu öffnen kostet viel Kraft. Ich habe das Gefühl in eine Rolle gepresst zu werden. Glaube mich genötigt, nun dieses gemeinsame Projekt, auf das man sich ja im Voraus textuell verständigt hat, aufrecht zu erhalten. Ich erahne bereits die Enttäuschung, wenn ich die ganze Sache beende und meinem Gegenüber wehtun muss. Auch wenn nichts Intimes gelaufen ist. Soweit lasse ich es meist auch gar nicht kommen. Dann würde die ganze Sache noch schlimmer werden. Ich bin ein Gefühlsmensch, und wenn ich mit einer Frau schlafe, baut sich in mir der starke Wunsch auf, diese Frau dann auch zu lieben. Auch wenn das gar nicht der Fall ist. Ich will der perfekte Mann sein und merke zeitgleich, dass es nun mal nicht klappt – weil das Gefühl dazu fehlt. Ich ruhe in dem Moment nicht in mir und das kostet Energie. Dann zu gehen verursacht noch viel mehr Schmerz und letztendlich bleiben zwei Seelen zurück, verwundet und erschöpft, von der Suche nach einem Gefährten, der sie entweder trägt, oder im Idealfall, neben ihnen geht. Gar nicht traurig über den Verlust dieser flüchtigen Bekanntschaft, sondern wegen des Verlusts der eigenen Vorstellung von einer Beziehung, und der Erkenntnis, dass es nun mal nicht so einfach und schnell funktionieren kann.

Ja, jetzt weiß ich es also wieder Alles. Diese Schwere wollte ich einfach nicht mehr in meinem Leben haben. Ich möchte nicht die Hoffnung der Frau sein, dass sie jetzt glücklich wird, ohne dass sie es erstmal allein geschafft hat. Ich will auch nicht wissen, auf wen ich mich da einlasse, sondern ich möchte überrascht werden. Ich möchte die Informationen aus den Profiltexten lieber erfahren, als schon auswendig gelernt haben. Ich möchte bei einem Treffen nicht gleich den Erwartungsdruck spüren, sondern mich allmählich kennenlernen, und es für völlig offen empfinden, ob daraus etwas wird. Außerdem möchte ich mich aufheben. Aufheben für Diejenige, die die Mauer um mein Herz einreißen kann, so dass ich mich nicht mehr durch ein schmales Fenster darin zwängen muss. Ich möchte all meinen Mut zusammennehmen müssen, sie anzusprechen, anstatt dies gänzlich auszulassen. Erst wenn ich kämpfen möchte weiß ich, dass ich mich verliebt habe, und sie es offenbar wert ist.

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